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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 26.09.1992, 07:06 Uhr.

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CSFR/Ungarn
Gabcikovo, Bombendrohungen und Spionage? - Spannungen zwischen Bratislava und Budapest

--Von ADN-Korrespondent Günter Gensicke--

Prag (dts Nachrichtenagentur/ADN). Die ungewöhnliche Schärfe, mit der Ungarns Premier Joszef Antall am Freitag gegen die Fortführung der Arbeiten am Donau-Stau- und Schiffahrtsprojekt Gabcikovo-Nagymaros vorgegangen ist, haben CSFR-Medien mit Sorge registriert. Zitiert wurde die kritische Haltung des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl zur Art Antalls, aus der gesamten Donau-Problematik nur einen Teil herauszugreifen und diesen vor internationalem Publikum derart ausführlich zu behandeln. Der ungarische Premier hatte für die Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals den Redepart der Donau-Anrainerländer übernommen.

Die Rede Antalls könnte Antwort auf ein Schreiben von CSFR-Premier Jan Strasky sein, das am Tage zuvor über CSTK veröffentlicht worden war. Es befaßt sich mit dem Donau-Projekt, lehnt die Anrufung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag als "einen Schritt zurück" ab und kommt erneut mit dem Einsatz eines Dreier-Gremiums, an dem neben den beiden sich streitenden Seiten die EG-Kommission beteiligt werden sollte. Der Brief ist alles andere als verbindlich - Parlament und Regierung in Budapest reagieren auf derartige Schreiben seit jeher allergisch.

Am Freitag morgen, also noch vor der Antall-Rede, hatte sich die in Bratislava erscheinende "Pravda" über die "Existenz eines ungarischen Spionagerings in der Slowakei" verbreitet. Dieser werde von einer "bestimmten ungarischen Regierungsstelle in Bratislava" geleitet. Man habe die Übergabe von Koffern durch Agenten an Führungsoffiziere registriert, sei informiert über die Residenturen des Geheimdienstes in der Slowakei. Der Generalkonsul Ungarns in Bratislava, Jenö Boros, protestierte sofort, bezeichnete die Darstellung als absurd und das ganze als "offensichtliche Provokation". Der Sprecher des slowakischen Innenministeriums, Stanislav Ryban, aber empfand den "Pravda"-Beitrag als "recht überzeugend". In Anbetracht der Haltung offizieller ungarischer Stellen in der letzten Zeit würde er sich nicht wundern, "wenn dies eine reale Basis hätte".

Dies nun gießt Öl in ein Feuer, das ohnehin nicht eben am Verlöschen ist. Gerade eine Woche ist vergangen, seitdem slowakische Spezialkommandos den Fan-Block von Ferencvarosz Budapest im Europapokalspiel gegen Slovan Bratislava auseinandergeprügelt hatten. Die Reaktionen beider Seiten steigerten sich fast zur Hysterie. Noch heute erhält die CSFR-Botschaft in Budapest böse Briefe und Bombendrohungen. Die Anhänger von Slovan wurden aufgefordert, nicht zum Rückspiel zu fahren - Gegenschläge von ungarischer Seite seien nicht auszuschließen. Ein "Kommando 92" kündigte Rache an slowakischen Polizisten an. Daß der Antrag von Ferencvarosz an die FIFA, das Spiel in Bratislava zu annullieren, abgewiesen, dafür aber von beiden Clubs eine Strafe von 15.000 Schweizer Franken eingefordert wurde, hat die Gemüter nicht eben beruhigt.

Der tschechoslowakische Verteidigungsminister nun räumte nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Polen und Ungarn am Freitag die Möglichkeit ein, daß es an der Südgrenze zu eventuellen Provokationen kommen könnte, die jedoch "im Zusammenwirken beider Seiten rechtzeitig und wirksam lokalisiert" werden würden. Und sein Amtskollege Lajos Für sah sich veranlaßt zu versichern, an den ungarischen Grenzen hätten keinerlei militärische Aktionen begonnen. Und es seien auch keine geplant.

gge/fsh

260506 Sep 1992