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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 03.09.1997, 09:49 Uhr.

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RO/vm/Verkehr/Postkutschen/Korr
"Lieber drei Tage Postkutsche als 14 Tage Spanien": Potsdamer Reiterhof fährt mit Vierspänner durch Ostdeutschland

--Von ddpADN-Korrespondent Boris Trelle--

Potsdam (ddpADN-RO). "Hoch auf dem gelben Wagen" sitzt der Potsdamer Bernd Kohlschmidt, schwinkt seine Peitsche und schüttelt acht Fahrgäste in seiner österreichischen Bergpostkutsche über Stock und Stein. Von Berlin nach Leipzig geht die Fahrt. Nach über 80 Jahren ist die historische Strecke wiederbelebt.

"Wir haben vor, im September zwei oder drei Mal zu fahren", verspricht der 17fache DDR-Meister im Springreiten. Die erste Reise im August sei ein durchschlagender Erfolg gewesen. Ein Fahrgast habe danach gesagt, die drei Tage in der Postkutsche wären "viel besser als 14 Tage Spanien". Ein weiterer habe sich gleich zum nächsten Reisetermin wieder anmelden wollen.

Begonnen hatte die Unternehmung durch Kontakte zum Pferdehof von Johanna Busch im hessischen Büdingen. Sie startete die ersten Kutschfahrten entlang der alten deutschen Postrouten, beispielsweise von Frankfurt am Main nach Leipzig. Nach jahrelanger Zusammenarbeit gab es im März den entscheidenden Handel unter Pferde-Freunden: Bernd Kohlschmidt bekam sein Gefährt aus Büdingen.

Am liebsten wäre er mit dem Vierspänner sofort losgesaust, erzählt seine Frau Kornelia Riedel. Doch ließ sich die Route nur schwer bestimmen. "Uns konnte keiner sagen, wo der Abfahrtspunkt war. Und wo der Ankunftspunkt ist, war noch viel schwieriger." Gelöst wurden die Probleme mit Hilfe des Berliner Postmuseums, so daß die Reise nun an der Hauptpost in Berlin-Mitte beginnt und zum alten Postgebäude in Leipzig führt.

Dazwischen liegen rund 200 Kilometer, die nicht immer leicht zu bewältigen sind. Gleich am Anfang geht es vier Stunden durch das Verkehrsgewühl der Hauptstadt. Aber Teddy, Achmed, Samurai und Fabian lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. "Da stecken nicht 30 Trainingsstunden drin, das sind 3.000 Stunden", urteilt Kohlschmidt über seine Zugpferde. Mit zehn Kilometern pro Stunde geht es zur ersten Übernachtung in Belzig. Die zweite Nachtruhe gibt es in der Dübener Heide, nahe der Lutherstadt Wittenberg.

Zumeist sind die alten Poststraßen zu stillen Wald- und Feldwegen geworden. Für die Reisegäste macht sich hier der unterschiedliche Fahrpreis bemerkbar: Zwei Gäste auf den billigen Rückbänken sitzen komplett im Freien. Zwei weitere sitzen zum Mittelpreis halb geschützt unter dem Kutschbock. "Die werden absolut naß, wenn"s regnet", weiß der Kutscher. Es sei denn, die Fahrenden machten von den angebotenen Überwürfen Gebrauch. Völlig sicher sind nur die Exklusiv-Fahrer im Innern der Kutsche.

Bedauerlicherweise gebe es auf dem letzten Abschnitt keine Alternative zur vielbefahrenen Bundesstraße. Aber dafür sei deren Benutzung durch die ungewöhnliche Reisegruppe wenigstens legal. "Wir sind ja ein normales Fahrzeug. Wir haben keine Überlänge, keine Überbreite, und sind auch nicht über vier Meter hoch", macht sich Kohlschmidt keine Sorgen um die Straßenverkehrsordnung.

Ständige Reisezeit wird in den wärmeren Tagen zwischen Frühjahr und Herbst sein. Um den erwarteten Ansturm williger Mitfahrer bewältigen zu können, hat Bernd Kohlschmidt bereits einen zweiten erfahrenen Kutscher aus Falkensee angeheuert. Und so die Post will, kommen bald vielleicht auch Briefmarkensammler auf ihre Kutsch-Kosten. "Wir haben eigentlich vor, auch mal Post zu transportieren", hofft Kornelia Riedel auf offizielle Anerkennung vom "Gelben Riesen."

tll/spa

030749 Sep 1997