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Gauck fordert kritische Stasi-Debatte im Westen
Saarbrücken (dts Nachrichtenagentur/ddpADN). Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, hat die Westdeutschen aufgefordert, kritischer mit der eigenen Stasi-Vergangenheit umzugehen. "Wir brauchen eine selbstkritische Debatte der Westdeutschen", sagte Gauck am Freitag im Saarländischen Rundfunk. In der alten Bundesrepublik sei die ostdeutsche Diktatur "ein bißchen verniedlicht worden". Vielen sei nicht bewußt, daß rund 30.000 Stasi-Mitarbeiter im Westen tätig waren: "Das sind dann Größenordnungen, daß man eigentlich überall in seiner Nachbarschaft einen IM finden könnte."
Auch westdeutsche Firmen überprüften nur sehr zögerlich ihre leitenden Mitarbeiter: "Man hat manchmal den Eindruck, die suchen gerade die, die früher die Ellenbogen hatten, um bei der Stasi zu arbeiten." Ein schlechtes Zeugnis stellte Gauck dem öffentlichen Dienst im Westen aus. "Überaus sorglos" werde mit der Tatsache umgegangen, daß in Westdeutschland "eine hinlängliche Anzahl von Verwirrten tätig war, die sich nicht genierten mit unseren Unterdrückern gemeinsame Sache zu machen".
Gauck betonte das große Interesse der Bürger an der Akten-Einsicht. "Wir hatten im vergangenen Jahr monatlich 14.000 Neuanträge", sagte der Bundesbeauftragte. Seine Behörde bearbeite "gigantische, aber auch ein bißchen neurotische Papiermengen". Insgesamt seien bereits 40 Millionen Karteikarten in der Nutzung. Es könne aber in der Zukunft noch Überraschungen geben. "Wir haben nicht einmal 80 Prozent in archivischer Ordnung, bei gut 20 Prozent haben wir überhaupt keine Ahnung, was darin sein könnte", sagte Gauck.
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280937 Feb 1997