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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 11.07.1992, 22:32 Uhr.

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Presse/Ostdeutschland/Komitee
"Berliner Morgenpost" zum "Komitee für Gerechtigkeit"

"in berlin ist gestern ein "komitee fuer gerechtigkeit" aus der taufe gehoben worden. es soll die kernzelle fuer die bildung weiterer komitees in staedten und doerfern der neuen bundeslaender und des berliner ost-teils sein, das zentralkomitee gleichsam. die komitees sollen auf besondere weise die interessen der neuen bundesbuerger artikulieren, die - wie zwischen elbe und oder gern soufliert wird - statt gerechtigkeit den rechtsstaat erhielten. nun ist es sicher nicht robespierre, der scharfrichter revolutionaerer gerechtigkeit, der hier gruessen laesst, aber ein sanftes aroma von "volksfront" liegt allemal in der ostdeutschen luft. die ziehvaeter des "komitees fuer gerechtigkeit" koennen fuer ihre ausserparlamentarische aktion manche gruende anfuehren. es stimmt ja, dass sich viele neue bundesbuerger, wie es im gruendungsaufruf heisst, als menschen zweiter klasse fuehlen, politisch, wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt. und es ist ja wahr, dass massenarbeitslosigkeit, soziales gefaelle von west nach ost, ungeklaertes eigentum und mietsteigerungen im osten deutschlands ein klima der demuetigung und der diffusen lebensaengste geschaffen haben. hinzu kommt die marternde erkenntnis, dass im geeinten deutschland keineswegs gesamtdeutsch empfunden und gedacht wird, dass es in deutschland zwar nur noch einen staat, aber noch zwei gesellschaften gibt.

zu dramatischen schlussfolgerungen bietet das "komitee fuer gerechtigkeit" keinen anlass. seine gruender denken an eine "besondere koerperschaft" fuer den osten, in die persoenlichkeiten, nicht aber parteien gewaehlt werden. diese koerperschaft kann alles und nichts werden, ein sammelbecken fuer kurzatmige, ehrgeizige politiker, ein forum fuer hochgestimmte moralisten, eine buehne fuer intellektuelle theoretiker und utopisten, ein lazarett fuer versehrungen durch die wende und depressionen.

bannertraeger der sammlungsbewegung fuer groessere gerechtigkeit sind peter-michael diestel (cdu) und der pds-vorsitzende gregor gysi. beide sind keine politischen lichtgestalten. mehr noch, sie sind watschenmaenner der innenpolitik. diestel ist ein notorischer verquerdenker, ein umtriebiger einzelkaempfer, der die balance zwischen persoenlichem eigennutz und oeffentlichem anspruch nicht findet. gysi seinerseits wittert die chance, bundesweit aus dem gefaengnis einer minderheitenpartei auszubrechen. fuer ihn transportiert die sammlungsbewegung auf scheinbar ueberparteiliche weise die interessen der pds. die nachfolgepartei der sed wuerde dabei hoechst sonderbar zum advokaten der opfer des sed-regimes.

natuerlich gehoert die beschwoerung der ddr-identitaet zum taufgeb et des "komitees fuer gerechtigkeit". gysi und das gruendungsmitglied stefan heym haben ende 1989 den aufruf "fuer unser land" unterschrieben. er richtete sich geradezu feierlich gegen eine vereinigung deutschlands. er stellte sich ganz und gar in den dienst einer sozialistischen ddr mit gelaeutertem menschlichem antlitz. die utopie von einem neuen besseren sozialismus ist fuer sie die seelenachse der proklamierten neuen gerechtigkeit.

nein, das komitee der diestel und gysi ist kein beitrag zur inneren vereinigung der deutschen. es versoehnt nicht. es verschaerft die spaltung, weil es die unterschiede zwischen ost und west schaerft. es ebnet ressentiments zwischen ost und west nicht ein, sondern verstaerkt sie. es baut politikverdrossenheit nicht ab, sondern befluegelt sie."

112032 Jul 1992