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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 07.03.1992, 15:00 Uhr.

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CDU/Kohl
Kohl fordert mehr Verständnis zwischen Ost- und Westdeutschen - Plädoyer für maßvolle Tarifabschlüsse - Heiße Phase des Wahlkampfes in Baden-Württemberg begonnen

Stuttgart (dts Nachrichtenagentur/ADN). Bundeskanzler Helmut Kohl hat zur Hilfe und Unterstützung für die Menschen in Ostdeutsschland aufgerufen. Zum Beginn der sogenannten heißen Phase des Wahlkampfes der baden-württembergischen CDU sagte deren Bundesvorsitzender am Sonnabend vor mehr als 1.500 Besuchern in der Kongreßhalle von Böblingen: "Wir können nicht am 3. Oktober das Deutschlandlied singen und hinterher sagen, es gehe uns nichts mehr an." Kohl fügte hinzu: "Das geht uns alle etwas an.". Er forderte mit Blick auf die Probleme bei der deutschen Wiedervereinigung mehr Verständnis: "Ich werbe für unsere Landsleute, deren Lebensbedingungen sich jetzt so dramatisch verändert haben wie nie zuvor."

Kohl warnte jedoch vor der Illusion, die neuen Bundesländer könnten quasi über Nacht Anschluß an den westlichen Standard erreichen. "Viele unserer Landsleute haben noch nicht begriffen, daß unser Wohlstand nicht vom Himmel gefallen ist, sondern daß wir dafür 40 Jahre lang hart gearbeitet haben."

Wiedervereinigung bedeute, aufeinander zuzugehen, sich zu verstehen und die Fähigkeit zum Gespräch zu entwickeln. Arroganz untereinander dürfe nicht zugelassen werden, betonte der Kanzler. Kritisch ging Kohl auf die geschichtlicher Rolle der Sozialdemokraten beim deutschen Wiedervereinigungsprozeß ein. Es sei ein Skandal, daß die SPD in den 80er Jahren die Forderung von Erich Honecker befürwortet habe, die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter abzuschaffen. Gerade bei seinem jüngsten Besuch in Bautzen, so Kohl weiter, habe er von früheren Gefangenen immer wieder erfahren, daß diese Einrichtung der Bundesländer für sie während der langen Haftzeiten der einzige Hoffnungsschimmer gewesen sei, denn man habe genau gewußt, daß die Art und Weise der Gefangenenbehandlung in Salzgitter genau registriert worden sei. Das gleiche gelte für die Bereitschaft der SPD, der Forderung der damaligen DDR nach Anerkennung einer eigenständigen Staatsbürgerschaft nachzukommen. Dieser Skandal, so der Kanzler weiter, dürfe nie vergessen werden.

Nachdrücklich warnte Kohl dann vor überzogenen Abschlüssen in der laufenden Tarifrunde: "Die 9,5prozentigen Lohnforderungen haben mit der ökonomischen Wirklichkeit nichts zu tun." Eine Politik des Maßhaltens sei angebracht. "Wir können jetzt nicht über unsere Verhältnisse leben." Das, so der Kanzler abschließend, würden wir später sonst bitter bereuen.

Erklärtes Wahlkampfziel der baden-württembergischen Christdemokraten ist es, am 5. April die seit 20 Jahren bestehende absolute Mehrheit im Stuttgarter Landtag zu verteidigen.

071400 Mar 1992