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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 22.03.1992, 14:11 Uhr.

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Vergangenheit/DDR/Aufarbeitung
(Wochenendzusammenfassung)

(Wochenendzusammenfassung) Deutsche in Ost und West müssen Vergangenheit gemeinsam bewältigen -

Berlin (dts Nachrichtenagentur/ADN). Die gemeinsame Verantwortung aller Deutschen für die Geschichte und ihre Bewältigung haben am Wochenende Persönlichkeiten aus Politik und Kirche unterstrichen. So sollte die vom Bundestag gebildete Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auch untersuchen, welche "systemstabilisierenden Auswirkungen" die Politik im Westen des seinerzeit geteilten Deutschlands für das SED-Regime gehabt hat. In Eisenach wandten sich Teilnehmer einer Expertentagung der Bürgerbewegung Aktion Gemeinsinn gegen die einseitig ostdeutsche Ausrichtung der Aufarbeitung. Auch das "Forum zur Aufklärung und Erneuerung", das sich Sonntagabend in Leipzig gründet, stieß in diesem Zusammenhang zum Teil auf Ablehnung. Der frühere DDR-Bürgerrechtler und heutige CDU-Abgeordnete Rainer Eppelmann, der Vorsitzender der Enquete-Kommission wird, hatte bereits bei der Konstituierung das Forum als "kaum tauglich" für eine DDR-Vergangenheitsbewältigung bezeichnet. Er betrachte die DDR-Vergangenheit als gesamtdeutsches Problem, das auch gesamtdeutsch aufgearbeitet werden müsse. Für fundierte Antworten sei die Enquete-Komission besser geeignet. Der in Leipzig beschritte Weg sei im Grunde "schädlich". Er berge die Gefahr, daß neue Grenzen gezogen werden. Das Forum, das aus der ursprünglichen Idee über ein Tribunal hervorgeht, sollte auch nach Auffassung von Bischof Joachim Wanke, Apostolischer Administrator in Erfurt und Meiningen, "kritisch, zumindest mit gebührender Vorsicht" behandelt werden. Bei der Diskussion um den Umgang mit der DDR-Vergangenheit müsse es um eine "fortdauernde Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit mit Rede und Gegenrede" gehen, sagte Wanke auf einer Diskussionsrunde der Katholischen Akademie in Berlin.

Das Leipziger Forum soll nach dem Willen der Gründer - Bürgerrechtler und Politiker aus Ostdeutschland - als Trägerverein die öffentliche Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit fördern und koordinieren. Geplant ist die Einrichtung eines festen Sekretariats in Leipzig. Zu den Initiatoren zählen der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Wolfgang Ullmann, SPD-Vize Wolfgang Thierse, der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer und der Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten, Joachim Gauck.

Eppelmann, stellte gegenüber "Welt am Sonntag" fest, die Bundesrepublik habe seinerzeit mit ihrer Politik, "mit allem, was sie gemacht und bezahlt hat", natürlich erheblichen Einfluß auf die Inhalte der DDR-Politik genommen, "sicher auch auf Zustand und Dauer dieser DDR." Bei den Untersuchungen des Bundestags müsse danach gefragt werden, "welche Motive für die westdeutschen Politiker maßgebend waren", den Grundlagenvertrag mit der DDR abzuschließen. Auch die SED-Gründung durch SPD und KPD 1946 müsse aufgearbeitet werden. "Es gibt da nicht nur das Versagen der Ost-CDU, die sich hat gleichschalten lassen, sondern es hat eben auch das Versagen der SPD gegeben, die sich schon vorher hat schlucken lassen."

Nach Auffassung des früheren SPD-Wohnungsbauministers und heutigen Präsidenten der Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Bayerns, Dieter Haack, hat die Deutschlandpolitik der Bundesregierung in den 80er Jahren zunehmend ihre moralische Substanz verloren. Es sei in dieser Zeit in der Deutschen Frage für wichtige Meinungsführer nicht mehr um Frieden und Freiheit, sondern nur noch um Frieden gegangen. Aus Angst vor einem Nuklearkrieg sei die SED-Diktatur als Friedenpartner akzeptiert und ihr Unrechtscharakter vergessen worden, sagte Haack in Eisenach. Thüringens Landesbischof Werner Leich betonte die gemeinsame Verantwortung für die Geschichte, die mindestens die Zeit seit 1933 einschließen müsse.

Für die rechtsstaatliche Auswertung der Gauck-Akten sprach sich die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) aus. Es störe ihr Rechtsempfinden, daß inzwischen Informelle Mitarbeiter an den Pranger gestellt und deren Befehlsgeber als Zeuge gehört würden. "In der Justiz gilt die Unschuldsvermutung, während hier mitunter voreilige Schlüsse aus den Akten gezogen werden und keine Instanz da ist, die mit Hilfe von Zeugen und anderen Beweismitteln die Richtigkeit des in den Akten Festgehaltenen überprüft", kritisierte Frau Limbach in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

221311 Mar 1992