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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 30.06.1992, 07:56 Uhr.

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Berlin/Feature/Kollwitz 1 (2 Teile)
Käthe Kollwitz und der Prenzlauer Berg - 52 Jahre im Berliner Arbeiterviertel

-- Von Albert Jaritz --

Berlin (dts Nachrichtenagentur/ADN-bln/Feature). Das Eckhaus an der früheren Weißenburger Straße 25 in Berlin-Prenzlauer Berg, in dem Käthe Kollwitz 52 Jahre lebte, steht nicht mehr. Es wurde bei einem amerikanischen Luftangriff am 23. November 1943 zerstört. Heute findet man unter Sträuchern und Bäumen auf einem Steinsockel die Kopie einer Kalksteinplastik, die die Künstlerin wenige Jahre nach Hitlers Machtergreifung vollendete. Eine Mutter, sitzend, umschlingt die in ihren Schoß gebetteten Kinder mit kräftigen Armen, drückt sie an sich, schützt sie förmlich mit ihrem ganzen Körper - ein immer wiederkehrendes Mutter-Kind-Motiv im künstlerischen Schaffen der Kollwitz. "...ich bin es selbst mit meinen eigenen leibgeborenen Kindern, mit meinem Hans und meinem Peterchen", vermerkte sie 1919 zu einem ähnlichen Entwurf in ihrem Tagebuch. Das letzte graphische Blatt zu diesem Thema entstand viel später, in der tiefen Erschütterung über den Soldatentod ihres 22jährigen Enkels Peter im September 1942, und sie versah es mit dem Goethezitat "Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden!". Die Skulptur zählt neben der in Stein gehauenen Elterngruppe für den Belgischen Soldatenfriedhof Roggefelde zu den Hauptwerken der am 8. Juli 1867 in Königsberg in einem liberalen Elternhaus geborenen Künstlerin. Das Mahnmal in Flandern, 1932 im Beisein der Kollwitz errichtet, war in schmerzhafter Erinnerung an ihren 18jährigen Sohn Peter entstanden, der wenige Wochen nach Ausbruch des ersten Weltkrieges dort als Freiwilliger fiel.

Der Blick gleitet über die von alten Bäumen gesäumte Straße, die vom Senefelder Platz hinter dem alten Jüdischen Friedhof hinauf bis zur Dimitroffstraße führt, am früheren Wörther Platz vorbei. Platz und Straße tragen seit den fünfziger Jahren den Namen der Künstlerin. Mit ihr wachsen seit Jahrzehnten die Kinder der Umgebung auf: Bildhauer Gustav Seitz schuf das hier aufgestellte schöne Bronzedenkmal der Käthe Kollwitz. Seit 1958 sitzt sie hier, nachdenklich und mütterlich, inmitten des grünen Areals, mit dem Blick über einen großen Kinderspielplatz hinüber zu den Miets- und Bürgerhäusern aus der Gründerzeit dieses dicht besiedelten Viertels mit vielen kleinen Kneipen, Läden, Cafes. Wie viele Steppkes sind ihr schon auf den Schoß geklettert...

Fast fünfzig Jahre war die Künstlerin mit dem aus einer sozialdemokratisch orientierten Familie stammenden Kassenarzt Dr. Karl Kollwitz verheiratet. Schon mit 17 Jahren hatte sich Käthe Schmidt mit ihrem vier Jahre älteren Jugendfreund Karl verlobt. Erst im Juni 1891 heirateten sie und übersiedelten nach Berlin in die Weißenburger. Die inzwischen fast Achtundzwanzigjährige hatte Künstlerinnenschulen in Königsberg, Berlin und München absolviert. Sie wußte, ein Leben als Künstlerin und Frau eines Kassenarztes würde Belastungen ausgesetzt sein. Und sie bekam sie zu spüren, besonders nach der Geburt ihrer beiden Söhne 1892 und 1896. Doch sie dachte nicht daran, zu kapitulieren. Die Uraufführung von Hauptmanns "Die Weber" in der Berliner Freien Bühne regte sie zu der Grafik-Folge "Ein Weberaufstand" an, die sie 1897 beendete und die ein Jahr später in der Großen Berliner Kunstausstellung von Adolf Menzel für die Kleine Goldmedaille vorgeschlagen wurde. Doch mit den kernigen Worten "Ich will keine Rinnsteinkunst!" lehnte das der Kaiser ab. (folgt/ Auch Basisdienst)

300556 Jun 1992