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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 16.01.1992, 11:44 Uhr.

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Algerien/Opposition
Algeriens Fundamentalisten wollen neuen Machthabern "Oppositionsparlament" entgegensetzen

--von ADN-Korrespondentin Claudia Altmann--

Algier (dts Nachrichtenagentur/ADN). Die um ihren Wahlsieg betrogene algerische Islamische Heilsfront (FIS) gibt sich nicht geschlagen. Am Mittwoch machte ihr derzeitiger Chef, Abdelkader Hachani, deutlich, daß seine Partei auf der Anerkennung der Resultate des ersten Wahlganges bestehe. Dem von der FIS als "verfassungswidrig" abgelehnten Obersten Staatsrat soll ein "Oppositionsparlament" bestehend aus den 231 in der ersten Runde der Parlamentswahlen Gewählten entgegengesetzt werden. Es würde sich aus 188 Abgeordneten der FIS, 20 der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) und 16 der Nationalen Befreiungsfront (FLN) zusammensetzen.

Zuvor bereits hatten sowohl FFS-Chef Ait Ahmed als auch FLN-Generalsekretär Abdelhamid Mehri die Bildung des kollektiven Präsidentschaftsgremiums, des fünfköpfigen Obersten Staatsrates, als "illegitim" bezeichnet. Während Ait Ahmed, der die jüngsten Ereignisse mit einem "Staatsstreich" gleichsetzte, noch nicht auf den Vorschlag der Fundamentalisten reagierte, scheint es mit der FLN schon eine konkretere Annäherung zu geben. Am Mittwoch trafen sich erstmals die Führer der früheren Erzfeinde und "tauschten ihre Meinungen zur Situation im Lande aus". Mehr wurde vorerst nicht bekannt.

Die ablehnende Reaktion des FLN-Parteiapparates auf die Maßnahmen von Armee und Regierung erklären Beobachter mit der offensichtlichen Ausschaltung der Führung der bisherigen Regierungspartei aus der Entscheidungsfindung. So erklärte Mehri, die FLN-Leitung sei nicht über die Auflösung des Parlaments am 4. Januar informiert gewesen. Auch die Ernennung des FLN-Dissidenten Mohamed Boudiaf, der am Donnerstag in Algier aus dem marokkanischen Exil kommend erwartet wird, dürfte für Mehri ein Schlag ins Gesicht sein. Boudiaf - jahrzehntelang in Algerien als Unperson totgeschwiegen - ist vor allem den jüngeren Algeriern unbekannt. Dennoch wird der 72jährige, der einer der Führer im Befreiungskampf war, als nicht von der jahrzehntelangen FLN-Herrschaft belastete Persönlichkeit akzeptiert.

Die Tageszeitung "Alger Republicain" hat die von den Fundamentalisten vorgeschlagene "Oppositionelle Allianz" sarkastisch als "Islamische Sozialistische Nationale Befreiungsfront - FLIS" bezeichnet.

161044 Jan 1992