Presse/Jahreswende
"Münchner Merkur"

"das etikett der jahreswende heisst beschraenkte zuversicht. zwar mangelt es nicht an apokalyptikern, duestermaennern und truebsal-blaesern. nimmt man allerdings den querschnitt der juengsten umfrage, verabschiedet sich die mehrheit der buerger von 1992 in dem wohlbehagen, dass die deutschen immer noch zu den bevorzugten 14 prozent der menschheit gehoeren, denen die sonnenseite der welt vergoennt ist. die baeume wachsen auch hierzulande nicht in den himmel. 1992 geht in die annalen als jahr der ernuechterung, der verlorenen illusionen, der identitaetskrise und der schlichten erkenntnis, dass die erde sich nicht so dreht, wie man moechte. moeglicherweise wird das neue jahr ungemuetlicher als 1992. was auch immer an verwerfungen, bedraengnissen und politischen uebeln ins haus stehen mag: die wohlstands-freizeit- ellenbogen-gesellschaft, deren hunde und katzen besser leben als millionen kinder in der dritten welt, sollte endlich aufhoeren mit dem, was im ausland spoettisch 'die deutsche weltmeisterschaft in weinerlichkeit und selbstverunsicherung' genannt wird."

hcp

301637 Dec 1992