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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 23.12.1992, 08:22 Uhr.

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lth/wi/Branchen/Metall/Thüringen
Umfrage belegt: Metallbranche Thüringens existenzbedroht

Erfurt (dts Nachrichtenagentur/ADN-lth). Nur 8,7 Prozent der thüringischen Unternehmen der Metall- und Elektrobranche arbeiten derzeit mit Gewinn. Drei Viertel der Unternehmen fahren Verluste ein, während 15,5 Prozent gerade kostendeckend produzieren. Das belegt eine jetzt veröffentlichte Umfrage unter den 273 Mitgliedsunternehmen des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Thüringens (VMET). Die Ergebnisse überträfen die schlimmsten Erwartungen, erklärte VMET-Geschäftsführer Wilfried Stolle.

Von 1990 bis 1992 schrumpften die Beschäftigungsziffern der Branche von rund 300.000 auf jetzt noch 101.000 Arbeitnehmer. Als Gründe dafür geben die befragten Unternehmen den Wegfall der (Ost-)Märkte und den Wettbewerbsdruck sowie eine nicht der Produktivitätsentwicklung entsprechende Tarifentwicklung an. Im Hinblick auf die zum 1. April 1993 anstehenden Lohnerhöhungen um 26 Prozent sagen daher fast 87 Prozent der Unternehmen, daß dies nicht der Produktivitätsentwicklung entspricht. 78,9 Prozent von ihnen fordern deshalb die Anwendung der Revisionsklausel. Sofern die IG Metall bei den für Januar vereinbarten Gesprächen an dem Stufenplan zur Anhebung der Löhne festhält, sprechen fast 60 Prozent der Firmen von weiterem Arbeitsplatzabbau, über die Hälfte von mehr Kurzarbeit, rund 21 Prozent vom Zurückstellen von Investitionen und 3,7 Prozent von drohender Liquidation.

Doch auch andere Probleme machen der Branche zu schaffen. Mehr als ein Drittel der Firmen spricht von Image-Verlusten Thüringens als Wirtschaftsstandort durch politische Querelen und fehlende Aussagen zur Landesentwicklung. Außerdem fühlen sich mehr als 60 Prozent gegenüber Westunternehmen unfair behandelt, was sich in mangelndem Vertrauen in Qualität und Leistung ostdeutscher Firmen, in Preisdruck, krasser Benachteiligung bei Ausschreibungen und Marktabschottung ausdrücke.

Dennoch erwarten 68 Prozent der Unternehmen 1993 zumindest eine befriedigende Geschäftsentwicklung. Die Mehrzahl von ihnen sind allerdings Kleinbetriebe mit bis zu 100 Beschäftigten, vermerkt der VMET. Die knappe Hälfte der Unternehmen ist im Exportgeschäft. Dabei orientieren sie sich auf westliche Märkte, zumeist in der EG, die heute bei drei Viertel der Exporteure einen durchschnittlichen Anteil am Gesamtumsatz von 41 Prozent ausmachen.

Nur ein Viertel der Firmen rechnet 1993 mit einer Belebung der Ostgeschäfte. Hermes-Bürgschaften sieht dabei nur ein reichliches Fünftel als geeignetes Instrument an. Hingegen sind viele der Auffassung, durch Ostbüros, Bartergeschäfte, Entwicklungshilfe, Joint Ventures und Landesbürgschaften könne das Ostgeschäft eher angekurbelt werden und so durchschnittlich 103 Arbeitsplätze pro Unternehmen erhalten.

Insgesamt hängen nach Ermittlungen des Verbandes noch 6.000 Arbeitsplätze der Branche in Thüringen latent vom Ostgeschäft ab, das trotz großer Hürden "nicht tot" ist. So gehören die GUS-Staaten mit mehr als elf sowie Polen, die CSFR und Ungarn mit jeweils sechs Prozent Anteil an den Exportgeschäftennach wie vor zu den großen Handelspartnern von Thüringer Firmen. Dies sei allerdings ausschließlich auf unternehmerische Anstrengungen, nicht aber auf Bemühungen der Politik zurückzuführen, schätzt der VMET ein.

trw/tli

230722 Dec 1992