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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 19.01.1992, 17:29 Uhr.

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lbg/pl/Stasi/Stolpe
(Zweite Wochenendzusammenfassung mit neuem Material) SPD stellt sich hinter Stolpe - CSU fordert Rücktritt - Brandenburgs Ministerpräsident bekennt sich zu Stasi-Kontakten

Hamburg/Potsdam/Bonn (dts Nachrichtenagentur/ADN-lbg). Während für die SPD die Integrität des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe außer Frage steht, fordert die CSU den Rücktritt des SPD-Politikers. Hintergrund sind jüngste Bekenntnisse Stolpes gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", wonach er seit "Ende der sechziger Jahre" im Interesse der evangelischen Kirche umfangreiche Kontakte zur Staatssicherheit unterhalten habe. Nach eigenen Angaben hat Stolpe in 30 Jahren rund tausend Gespräche mit staatlichen Stellen, Funktionären und Stasi-Vertretern geführt. Dabei habe er "den SED-Staat durch seine eigenen Machtmittel überlisten" wollen, um das System zu verändern. Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi sei er nie gewesen.

Unterdessen bezeichnete Stolpe seinen Beitrag im "Spiegel" als "Versuch, das System zu erklären". Vor der Presse in Potsdam machte er zugleich denen Mut, "ihre Deckung zu verlassen", die mit ihm zusammen und im Auftrag der Kirche mit der SED, dem Staatsapparat und der Staatssicherheit Kontakt gehabt hätten. Ob seine neun Mitstreiter wie er den Weg in die Öffentlichkeit finden, werde vom Einstieg in die Aufklärung der Vergangenheit abhängen. Er sei sich bewußt, sagte der Politiker, eine "neue Welle von Aufgeregtheiten" ausgelöst und eine "Lawine losgetreten" zu haben. Wenn Aufklärung jetzt nicht gelinge, "behalten wir eine 2-Klassen-Gesellschaft bei" mit einem "Kolonialbereich Ost", in dem "alle irgendwie verdächtig sind".

Die Sozialdemokraten haben sich inzwischen hinter ihren einzigen Ost-Regierungschef gestellt. Nach Auffassung des SPD-Chefs und schleswig-holsteinischen Ministerpäsidenten, Björn Engholm, habe Stolpe "keinem Menschen geschadet, niemanden verletzt oder belastet". Vielmehr habe er "zum inneren Widerstand gegen das Regime Hilfestellung gegeben", erklärte Engholm in Bonn. Der brandenburgische Politiker leiste ein wichtiges Stück Aufklärungsarbeit darüber, "wie Kirchenvertreter in der ehemaligen DDR mit staatlichen Institutionen Umgang pflegen mußten". Nachhaltig hat auch der Berliner SPD-Landesvorsitzende Walter Momper Stolpe gegen den Verdacht einer Stasi-Mitarbeit in Schutz genommen.

Für die CSU dagegen ist nach dem Eingeständnis vielfältiger Stasi-Kontakte ein schwerer Schatten auf die Integrität Stolpes gefallen. In einem Zeitungsinterview forderte daher CSU-Generalsekretär Erwin Huber Stolpe zum Rückzug aus den politischen Ämtern auf. Stolpe hatte bereits am Samstag erklärt, daß die Frage eines Rücktritts für ihn überhaupt nicht stehe. Ein Rücktritt würde die Dinge auf den Kopf stellen, meinte er im ZDF.

Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im brandenburgischen Landtag, Peter-Michael Diestel, hatte die Überzeugung geäußert, daß sich Stolpe bei seinen Kontakten zum Staatssicherheitsdienst moralisch integer verhalten hat. Dennoch schloß Diestel einen Mißtrauensantrag nicht aus. Seine Fraktion werde darüber entscheiden, wenn nähere Informationen über Stolpes Kontakte zum MfS bekannt sind. Stolpe kommentierte den CDU-Vorstoß mit den Worten: "Es würde mich interessieren, wie Herr Diestel dies begründen will."

Während Stolpe mehrfach versicherte, kein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gewesen zu sein und dies auch ein Stasi-Oberst der "Bild am Sonntag" bestätigte, bezeichnete ein anderer Ex-Offizier im Berliner "Kurier am Sonntag" Stolpe als "Gesellschaftlichen Mitarbeiter" (GMS). Diesen Vorwurf wies Stolpe "entschieden" zurück und schloß rechtliche Schritte dagegen nicht aus.

Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Rainer Eppelmann sind die Darlegungen Stolpes glaubwürdig. "Es gibt kein logisches Motiv für Spitzeldienste", sagte er der Zeitung "Super". Einen "etwas fatalen Eindruck" hinterlasse es allerdings, daß sich Stolpe auch in konspirativen Wohnungen mit Stasi-Leuten getroffen habe. Trotzdem gehe er davon aus, "daß es keine Stasi-Mitarbeit gegeben hat".

In der Berliner Gauck-Behörde waren am Wochenende über Stolpes Kontakte zur Stasi nur Gerüchte bekannt. Gauck selbst gegenüber ADN: "Zu keiner Zeit habe ich Kenntnis über Akten gehabt - auch ein Deckname ist mir unbekannt." (Auch Basis)

191629 Jan 1992