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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 13.07.1992, 22:34 Uhr.

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Presse/Türkei/Kinkel
"Berliner Morgenpost" zu Türkei/Kinkel

weit ueber ein jahrhundert hinweg hat die deutsch-tuerkische freundschaft allen stuermen und umwaelzungen der epochen widerstanden. erst in letzter zeit hat das parkett traditioneller partnerschaft, das von den koenigen preussens und den herrschern des osmanischen reiches gelegt wurde, empfindliche risse bekommen. dieser risse wegen war aussenminister klaus kinkel nach ankara gereist. er hat dort, obwohl nur kurz im amt, doch selbstsicher aus dem langen schatten genschers heraustretend, ebenso gute figur gemacht wie bei der deutschen hilfe fuer sarajevo. er hat wogen geglaettet, ohne die wirklichkeit zu vertuschen. kinkel hat keinen zweifel daran gelassen, dass die bundesregierung eine eg-vollmitgliedschaft der tuerkei gegenwaertig nicht empfehlen kann. als begruendung fuehrte der minister an, dass die wahrung der menschenrechte in der tuerkei nur unzureichend gewaehrleistet sei. und kinkel liess sich nicht von der beschuldigung des tuerkischen staatschefs oezal beirren, die bundesregierung unterstuetze offen kurdischen terrorismus. tatsaechlich hat bonn nicht die unterdrueckung der kurden und den permanenten verstoss gegen menschenrechte erfunden, um den beitritt der tuerkei in die eg zu verhindern. ankara duerfte mit dem methodischen verwechseln von ursache und wirkung kaum weiterkommen. in der tuerkei werden menschenrechte missachtet und verletzt. das ist internationale erfahrung, nicht deutsche erfindung. in polizeigefaengnissen wird gefoltert. nicht vergessen ist auch die unmenschliche haerte, mit der bewaffnete tuerkische kraefte nach dem golfkrieg kurdischen fluechtlingen den rettenden abstieg in die taeler aus der eishoelle der berge verwehrten. dass tuerkische sicherheitskraefte bei ihrem vorgehen gegen kurdische zivilisten auch deutsche waffen einsetzten, fuehrte unmittelbar zur verstimmung zwischen bonn und ankara. im maerz dieses jahres stellte deutschland seine militaerhilfe an die tuerkei ein, hob aber im juni den lieferstopp wieder auf. neue waffen wurden allerdings nicht mehr geliefert. gestern nun versicherte ankara, dass die tuerkei kuenftig deutsche waffen und geraete nur zur landesverteidigung und nicht gegen die kurden einsetzen werde. vielleicht haette ein vorsichtiger taktiker wie genscher das heisse eisen der freizuegigkeit innerhalb der europaeischen gemeinschaft nicht so ungeschuetzt angepackt wie kinkel. sein nachfolger jedenfalls redete nicht lange um den heissen brei herum und bezeichnete eben diese freizuegigkeit als einen gewichtigen hinderungsgrund fuer eine rasche eg-vollmitgliedschaft der tuerkei. waere die tuerkei eg-vollmitglied, koennte eine beliebige anzahl tuerkischer staatsbuerger nach deutschland kommen - angesichts der armutswanderung von ost nach west, die deutschland ohnehin schon vor kaum loesbare probleme stellt, eine beklemmende vorstellung. deutschland und die tuerkei sind nato-partner. beide laender haben im internationalen konzert an klangkraft gewonnen, deutschland durch seine staatliche vereinigung, die tuerkei durch ihre brueckenfunktion zwischen europa und den asiatischen republiken der ehemaligen sowjetunion. man kann nur hoffen, dass sich beide laender rasch in der tradition guter freundschaft wiederfinden.

132034 Jul 1992