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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 06.03.1992, 05:41 Uhr.

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ADN2009 4 al 382

Libanon/Armenien
Jerewan baut auf Libanons Armenier

- Größte Gemeinde des Nahen Ostens soll Rückendeckung geben --Von ADN-Korrespondent Frank Herrmann--

Beirut (dts Nachrichtenagentur/ADN). Armeniens Außenminister Raffi Hovannisian setzte ein deutliches Signal: Libanon ist das erste arabische Land, mit dem er diplomatische Beziehungen vereinbarte. Im Konflikt um Nagorny Karabach hoffe Jerewan auf die guten Dienste Beiruts, erklärte Hovannisan am Donnerstag nach einem Gespräch mit seinem Kollegen Fares Boueiz. Außerdem wolle man wirtschaftlich, kulturell und finanziell zusammenarbeiten.

Daß die transkaukasische Republik ausgerechnet in Libanon Rückendeckung sucht, ist kein Zufall. Im Zedernland gibt es die stärkste armenischen Gemeinde des Nahen Ostens, eine der wichtigsten der armenischen Diaspora überhaupt. Die rund zweihunderttausend Armenier spielen eine Schlüsselrolle im libanesischen Geschäftsleben. Zwar stellen sie nur sechs Prozent der Bevölkerung, erbringen aber 15 Prozent des Bruttosozialprodukts. Starke Positionen besitzen die einst aus der Türkei Vertriebenen in der Kleinindustrie, im Handel und im Bankwesen. Konkurrenzlos beherrschen sie die Optik- und Fotobranche.

Politisch halten sich die armenischen Christen allerdings sehr zurück. Im Bürgerkrieg (1975 bis 1991) waren sie stets auf Neutralität und Kontakte zu allen Seiten bedacht. Ihre beiden einflußreichsten Parteien, die konservative Tashnak und die linksgerichtete Henchak, kümmern sich vorrangig um Belange der eigenen Bevölkerungsgruppe. Mit Khatchik Babikian (Justiz) und Hagop Jokhadarian (Umwelt) stellt die Gemeinde zwei von 30 Ministern.

Durch Terroranschläge auf türkische Botschaften und Diplomaten in den USA und Westeuropa machte die armenische Untergrundarmee ASALA von sich reden. Ihre Zentrale befindet sich in Beirut; die ASALA-Guerillas sollen in libanesischen Camps von Palästinensern ausgebildet worden sein.

In den Siedlungszentren im Osten und Norden der libanesischen Hauptstadt, in Tripoli und in Anjar an der syrischen Grenze haben Libanons Armenier de facto einen Staat im Staate gegründet. Sie unterhalten rund 60 Privatschulen, eigene Krankenhäuser und Bibliotheken. In Beirut erscheinen vier armenische Tageszeitungen und 25 Periodika.

Das Städtchen Antelias am Nordrand Beiruts gilt heute nach Etschmiadsin bei Jerewan als geistliches Zentrum der Armenier. Seit 1930 resdiert dort der Katholikos von Kilikien, der nach dem ersten Weltkrieg aus der Südtürkei ausgezogen war. Antelias unterstehen die Gläubigen in Libanon, Syrien, Zypern, Griechenland, Kuwait und an der Ostküste der USA sowie drei Diözesen im Iran.

1915, nach dem türkischen Massaker, dem über eine Million Armenier zum Opfer fielen, hatte der erste Zustrom nach Libanon eingesetzt. Die meisten Flüchtlinge kamen 1921, als französische Truppen den Landstrich Kilikien im Süden der Türkei verließen. Als Paris 1939 die bis dahin syrische Region Alexandrette an Ankara abtrat, rollte die dritte Einwanderungswelle. Während des libanesischen Bürgerkrieges emigrierten allerdings Tausende Armenier in die USA, nach Kanada und Frankreich.

060441 Mar 1992