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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 05.03.1992, 16:27 Uhr.

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ADN2057 4 al 251

CSFR/Slowakei/Kirche/Tiso
Kardinal Korec verteidigt slowakischen Marionettenpräsidenten Tiso

New York (dts Nachrichtenagentur/ADN/APA). Der Erzbischof von Nitra und Vorsitzende der slowakischen Bischofskonferenz, Kardinal Jan Korec, hat den 1947 hingerichteten Präsidenten des klerikalfaschistischen slowakischen Vasallenstaates (1939 bis 1945), Prälat Jozef Tiso, verteidigt. Auf einer Pressekonferenz zum Abschluß einer USA-Reise drückte der ranghöchste katholische Würdenträger der Slowakei laut Kathpress in New York sein Bedauern darüber aus, daß es 40 Jahre lang nicht möglich gewesen sei, die Wahrheit über Tiso zu erfahren, und "sogar heute, da wir in Freiheit leben, die Wahrheit über Tiso nicht laut ausgesprochen werden kann".

Tisos Regierung lieferte ab 1942 Zehntausende Juden an Nazi-Deutschland aus. Von 90.000 slowakischen Juden kamen 75.000 ums Leben. Kardinal Korec hob hervor, daß Tiso die Deportation zunächst habe einstellen lassen, sich aber 1944 dem Druck Hitlers habe beugen müssen. "Tiso war nicht in der Lage, die Nazis daran zu hindern, das zu tun, was sie in der Slowakei erreichen wollten. Er wollte sogar zweimal als Präsident zurücktreten, wurde aber selbst von Vertretern jüdischer Organisationen gebeten, im Amt zu bleiben, da sie befürchteten, daß die Dinge durch einen anderen noch schlimmer werden könnten", erklärte der Kardinal.

Die Frage der slowakischen Unabhängigkeit müsse vom Parlament beziehungsweise in einer Volksabstimmung entschieden werden, sagte Kardinal Korec.

Tiso war nach dem Zusammenbruch des auf Weisung Hitlers errichteten Marionettenstaates nach Österreich geflohen, von den Alliierten als Kriegsverbrecher an die Tschechoslowakei ausgeliefert und ungeachtet seiner Priesterwürde wegen Hochverrats hingerichtet worden. Der Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, hatte bei einem Besuch in Bratislava (Preßburg) bekräftigt, Tiso sei zu Recht zum Tode verurteilt worden, und es spiele keine Rolle, ob das Urteil von einem kommunistischen oder einem anderen Gericht ausgesprochen wurde.

051527 Mar 1992