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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 24.09.1992, 19:05 Uhr.

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Bulgarien/Parlamentspräsident/Rücktritt
(Ausführlich ADN2019 al 15:00) Bulgarischer Parlamentspräsident erklärte seinen Rücktritt

-- Von ADN-Korrespondent Petko Teuchert --

Sofia (dts Nachrichtenagentur/ADN). Bulgariens Parlamentspräsident Stefan Sawow hat am Donnerstag seinen Rücktritt erklärt. Er beugte sich damit dem massiven Druck der Fraktionen der Bewegung für Rechte und Freiheiten (BRF) der türkischen Minderheit und der oppositionellen Sozialisten, die bereits in der Vorwoche in der Volksversammlung einen Mißtrauensantrag gegen ihn gestellt hatten. Der Antrag kam dann wegen eines Bombenalarms im Parlament nicht zur Abstimmung. Die beiden Fraktionen warfen Sawow vor, er führe ein Diktat im Parlament und bringe Mitglieder seiner Partei in Spitzenpositionen.

Sawow ist Vorsitzender der Demokratischen Partei, die der regierenden Koalition Union Demokratischer Kräfte (UDK) angehört. Noch vor zwei Wochen hatte die türkische Minderheitenbewegung ihre Loyalität gegenüber der UDK erklärt, mit der sie bisher im Parlament eine knappe Mehrheit gegenüber den Sozialisten bildete. Dann rückte sie jedoch von der Regierung ab und warf ihr Unfähigkeit vor. Hintergrund ist die Massenflucht von Türken aus Bulgarien, die vor allem wirtschaftlich begründet ist.

Der Rücktritt des 68jährigen Sawow, der zu den einflußreichsten Politikern der Regierungskoalition gehört, ist ein schwerer Positionsverlust für die UDK. Sie hatte erst vergangenen November die erste nichtkommunistische Regierung Bulgariens nach dem Krieg gebildet.

Premier Filip Dimitrow bezeichnete den Mißtrauensantrag als Generalprobe für den Sturz der Regierung. Damit sei von Kräften des früheren Regimes versucht worden, den Demokratisierungsprozeß und den Übergang zum Markt in Bulgarien aufzuhalten. Die UDK stellte sich am Wochenende auf einer nationalen Beratung demonstrativ hinter Sawow und Dimitrow.

Die Sozialisten ließen am Dienstag erkennen, daß ihnen im Augenblick nicht an einem Regierungswechsel gelegen sei. Die türkische Minderheitenbewegung rückte von ihrer zweiten Forderung, dem sofortigen Rücktritt Dimitrows, ab und verlangte von ihm Verhandlungsangebote.

Stefan Sawow gehört einer bekannten Familie des bulgarischen Großbürgertums an, aus der mehrere Minister hervorgingen. Sein Vater wurde nach dem zweiten Weltkrieg aus politischen Gründen hingerichtet. Sawow selbst saß während des kommunistischen Regimes mehrere Jahre in Gefängnissen und Lagern. Der studierte Jurist mußte 15 Jahre als Bauarbeiter arbeiten.

ate/fsh

241705 Sep 1992