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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 09.04.1992, 06:01 Uhr.

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ADN2007 4 al 400

CSFR/Liechtenstein
Liechtenstein wird nicht verzehnfacht

--von ADN-Korrespondent Günter Gensicke--

Prag (dts Nachrichtenagentur/ADN). Fürst Hans Adam II., Herrscher zu Liechtenstein, fordert sein Eigentum zurück. Besser: das seiner Familie, und deren Stammbaum reicht bis weit hinein ins Mittelalterliche. Und wer da gut Buch geführt, der kann gut Anspruch haben. Nun aber liegen die rund 160.000 Hektar des Hans Adam, die Schlösser und anderen bescheidenen Baulichkeiten keineswegs um Vaduz herum oder in erreichbarer Nähe, sondern - in Böhmen und Mähren. Also einige hundert Kilometer entfernt. Doch da lagen sie ja eigentlich schon immer, auch damals, 1620, als sie noch den ursprünglichen Eigentümern aus böhmisch-mährischem Adel gehörten. Da hatte Karl von Liechtenstein die Gelegenheit beim Schopfe gepackt: Die militärische Niederlage der böhmischen Stände in der Schlacht auf dem Weißen Berg, die anschließenden Massenhinrichtungen und die Flucht rund eines Viertels aller Adligen und begüterten Bürger vor der Rekatholisierung sahen ihn auf der richtigen, der kaiserlichen Seite.

So erhielt der General und Statthalter Ferdinands II. nicht nur, wie der österreichische Historiker Ch. Willars berichtet, Silbergerät des besiegten böhmischen Königs Friedrich von der Pfalz als kleines Geschenk, sondern noch obendrauf fünf Herrschaften und das Herzogtum Jägerndorf. Sieben weitere Güter konnte Liechtenstein wohlfeil hinzukaufen, denn das Angebot war groß - immerhin hatten mehr als 350 Adelsfamilien Besitz, Heimat und oft auch das Leben verloren.

Nach Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 wurden die Liechtenstein'schen Besitzungen zum Großteil und gegen Entschädigung enteignet. Dies geschah allen übermäßig begüterten Adelsfamilien in der CSR. Anfang der 30er Jahre aber soll sich hiesigen Presseberichten zufolge der Vorfahr des heutigen Fürsten öffentlich zum deutschen Volkstum bekannt und damit den Verbleib auch seines restlichen Eigentums vorbestimmt haben: Es wurde 1945 per Präsidentendekret nationalisiert.

Fürst Hans Adam II. möchte nun wiederhaben, was seinen Vorfahren genommen. Verständlich - würde sich damit die Fläche seines etwa 160 Quadratkilometer großen Zwergstaates doch mit einem Schlage verzehnfachen. Dem steht tschechoslowakisches Recht entgegen: Ansprüchen, die vor den 25. Februar 1948, also in die Zeit der bürgerlichen Republik zurückreichen, wird nicht entsprochen. Dies aber ficht den Fürsten nicht an: entweder den Besitz, oder Liechtenstein verweigert die Ratifizierung des erst jüngst abgeschlossenen Vertrages der CSFR mit der Europäischen Freihandelsassoziation, verlautete aus Vaduz.

Prag sieht sich erpreßt. Irgendwer macht dem Fürsten das Angebot, die CSFR-Staatsbürgerschaft anzunehmen, was ihm Zugriff auf zumindest 250 Hektar und einige Adelssitze bieten könnte. Das soll ihn sehr belustigt haben, ist Liechtensteiner Quellen zu entnehmen. Doch mehr dürfte daraus auch nicht zu machen sein. Die CSFR kann sich keinerlei Zugeständnis erlauben, denn damit würde eine Lawine von Ansprüchen losgetreten, deren man niemals Herr werden könnte. Und man will auch nicht. So schon gar nicht. "Als Nächste," schrieb ein erboster Leser in der "Lidove noviny", "kommen dann die Habsburger und verlangen den Hradschin zurück."

090401 Apr 1992