[zurück zur Suche]

 

Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 18.06.1992, 08:04 Uhr.

Die dts Nachrichtenagentur hält die umfangreichen Nutzungs- und Verwertungsrechte. Bei Fragen zu Sondernutzungsrechten oder Lizenzierung wenden Sie sich an unseren Vertrieb.

 

ADN1020 4 pl 526

Bundeswehr/Ostdeutschland
Nur "Leo" garantiert Trefferchancen - Ex-NVA-Offiziere im Ost-Heer warten auf grünes Licht für Laufbahn beim Bund

--Von ADN-Korrespondent Ekkehard Beisker--

Potsdam (dts Nachrichtenagentur/ADN). Ziel aufklären, anrichten, Entfernung lasern, Feuer... Mit der elektronischen Waffenanlage ihres "Leopard 2" haben die Männer vom Bundeswehr-Panzerbataillon 423 im brandenburgischen Brück nahezu absolute Trefferchancen. Das Top-Modell der Panzertruppe, mit dem die im März 1991 in Ostdeutschland neu aufgestellte Einheit ausgerüstet ist, macht's möglich.

Von derart treffsicheren Prognosen kann Hauptmann Detlef Schirr allerdings nur träumen. Der einstige NVA-Offizier, der im vorpommerschen Eggesin eine T-72-Panzerkompanie befehligte, blickt momentan in eine eher ungewisse Zukunft. Sein Schicksal teilt der 32jährige, in Brück mittlerweile Chef einer "Leopard 2"- Kompanie, mit rund 4.000 Offiziers-Kameraden der verblichenen DDR-Armee, die vom Heer in Ostdeutschland zunächst für zwei Jahre zum Bund übernommen wurden.

Über ihre weitere Laufbahn wird nun aber an höherer Stelle befunden; und das zieht sich hin. "Um endlich den psychologischen Druck von den Bewerbern zu nehmen", hofft man im Potsdamer Korps- und Territorialkommando Ost zumindest auf einen Abschluß der Aktion bis Jahresende. Als Grundlage für das Auswahlverfahren hatten die Truppen-Vorgesetzten die einstigen DDR-Soldaten zuvor nach militärischen und menschlichen Qualitäten zu bewerten. Was da auf dem bundeswehrüblichen Standardbogen zu Papier gebracht wurde, sei "durchaus objektiv", meinen davon betroffene Offiziere im Bataillon 423. Doch die Papierform, mit der sie auf der Bonner Hardthöhe antreten, ist für sie nur eine Hürde, um den Sprung in ein sicheres Zeit- oder sogar Berufssoldatenverhältnis zu schaffen. Bei einem geplanten Bedarf von rund 2.500 Offizieren sei die Übernahmechance bei Offizieren schon rein rechnerisch nur 70 Prozent, heißt es in Potsdam. Da müsse man auch altersmäßig in die Struktur passen. Auch die Gauck-Behörde hätte ein entscheidendes Wort mitzureden. Wer die Einsicht in seine Stasi-Akten verweigere, sei ohnehin raus. Über die Auswahl der Berufsoffiziere und längerdienenden Zeitsoldaten wird zudem noch ein vom Verteidigungsministerium eingesetzter unabhängiger Ausschuß befinden.

Obwohl die meisten der 38 Offizieren des Bataillons dem nervenden Abwarten ausgesetzt sind, kann Kommandeur Oberstleutnant Karl Hegemann nicht klagen. "Der Laden läuft." Bei der Ausbildung im Gelände räumt Hauptmann Schirr allerdings ein, "nur 100 Prozent zu geben". Bei klarer Perspektive wäre die Motivation gewiß noch größer. Die zumeist aus dem Anhaltinischen stammenden Wehrpflichtigen, die Schirr bis August für ein Übungsschießen im britischen Castlemartin fit haben muß, werden ihm die "100 Prozent" gewiß gern nachsehen.

Trotz allem könne man bei seiner Truppe ein gutes Jahr nach Aufstellung bereits von Normalität sprechen, so Hegemann. Für eine "saubere Nachwuchsplanung" wünsche er sich allerdings schnell Klarheit. Für alle geeigneten Ex-NVA-Unteroffiziere im Bataillon dürfte bereits bis August die Personalentscheidung gefallen sein.

Als Zeichen von Bundeswehr-Normalität wertet Hegemann auch die zurückgehende Zahl von Westsoldaten zur Unterstützung der Ausbildung. Statt dessen gebe es ganz normale Versetzungen von West nach Ost. Angesichts schwindender Planstellen in den Altbundesländern für manchen Uniformträger eine Perspektive. Immerhin stammen die "Leos", die nun im märkischen Sand rollen, aus Koblenz und dem bayerischen Amberg, wo Bundeswehrstandorte geschlossen werden. Leider, so Hegemann, schrecke viele West-Kameraden die Aussicht auf einen Dienstposten im Osten. Die seien vom Kasernenstandard verwöhnt, sagt Hegemann, der zuletzt im niedersächsischen Munster Dienst tat, mit leicht mißfälligem Unterton. Den könne man in der einstigen Unterkunft von NVA-Raketensoldaten derzeit eben noch nicht bieten, obwohl schon 1,2 Millionen Mark in die Sanierung der maroden Gebäude geflossen sind.

Dafür habe man hier in den neuen Bundesländern aber Gelegenheit, etwas neues aufbauen zu können, umreißt Hegemann die von "Ossis" und "Wessis" im Panzeroverall gleichermaßen geteilte Motivationslage. Doch die allein macht eben die Zukunft beim Bund nicht aus.

180604 Jun 1992