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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 07.01.1992, 22:34 Uhr.

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ADN1203 4 bl 370

Berlin/Wissenschaft/HU/Stasi/Delegation
(Zusammenfassung mit neuem Material) Europäische Delegation nicht von Stasi-Mitarbeit Finks überzeugt - Material der Gauck-Behörde unzureichend

Berlin (dts Nachrichtenagentur/ADN-bln). Das Material der Gauck-Behörde gegen den Rektor der Berliner Humboldt-Universität, Heinrich Fink, reicht für eine fristlose Kündigung nicht aus. Zu diesem Urteil gelangte eine Europäische Delegation, die in den vergangenen zwei Tage in Berlin die Entlassung Finks wegen angeblicher Stasi-Mitarbeit, die auch international Aufsehen erregt hatte, untersuchte. Die Gruppe, zu der Vertreter zahlreicher Organisationen Frankreichs, Schwedens, der Schweiz sowie des Europäischen Bürgerforums gehörten, hatte sowohl mit Fink als auch mit Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU), dem Stasi-Sonderbeauftragten der Bundesregierung, Joachim Gauck, sowie dem Direktor der Gauck-Behörde, Hansjörg Geiger, ausführliche Gespräche geführt.

Wie Delegationsleiter Lode van Outrive (Niederlande) zum Abschluß der Mission auf einer Podiumsdiskussion in der Universität am Dienstagabend sagte, sei er nach dem Gehörten nicht von der Schuld Finks überzeugt. Ebenso hätte ihn das überzeugt, was Gauck und Geiger dazu mitteilten. Beide hätten bejaht, daß es durchaus möglich sein könne, das jemand als "IM" bei der Stasi geführt wurde, ohne es selbst zu wissen. Im Fall Fink, so sei es der der Delegation gesagt worden, seien keine Opfer bekannt. Die im Gespräch vorgebrachte Kritik, "stückchenweise" die den Rektor belastenden Informationen verbreitet zu haben, hätten Gauck und Geiger nicht zurückgewiesen. Vielmehr hätten sie eingestanden, falsch gehandelt zu haben. Durch Veröffentlichungen in der Presse seien sie gezwungen gewesen, ganz schnell einen ersten Bericht an den Wissenschaftssenator zu senden, mit dem sie selbst nicht zufrieden gewesen seien, sagte van Outrive.

Nach einem ersten Eindruck der Delegation habe Erhardt nichts falsch gemacht. Doch, so van Outrive, könne man auch beim gesetzlich gestützten Handeln Gesetze vergessen. So habe der Senator zwar Fink angehört, doch ohne ihm Bedenkzeit einzuräumen, ohne ihm die Möglichkeit gegeben zu haben, einen Anwalt heranzuziehen. Eine große Gefahr bestehe darin, daß Fink nunmehr beweisen müsse, daß er kein "IM" war. Normalerweise prüfe ein Gericht, ob jemand schuldig ist.

Auch andere Delegationteilnehmer äußerten sich ebenfalls besorgt über derartige Verfahrensweisen, wie sie derzeit in Deutschland praktiziert würden. Jürgen Holzapfel vom Europäischen Bürgerforum bezeichnete die Kündigung als "skandalös". Rechtsanwalt Erik Göthe (Schweden) machte die Anwesenden mit einem Appell von 100 schwedischen Akademikern "für die Akademiker der ehemaligen DDR" bekannt, der der Bundesregierung und dem Berliner Senat übergeben werden soll. Darin drücken die Wissenschaftler ihre Beunruhigung darüber aus, daß ostdeutsche Akademiker "durch Ehrengerichte aufdringlich ausgefragt" und von den Behörden politisch überprüft würden, bevor über ihre weitere Anstellung entschieden werde.

072134 Jan 1992