[zurück zur Suche]

 

Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 11.12.1993, 12:24 Uhr.

Die dts Nachrichtenagentur hält die umfangreichen Nutzungs- und Verwertungsrechte. Bei Fragen zu Sondernutzungsrechten oder Lizenzierung wenden Sie sich an unseren Vertrieb.

 

ADN2016 4 pl 385

lbg/pl/Kommunalwahlen/PDS/Stolpe
Stolpe: Oberbürgermeister-Stichwahl ist "Ernstfall" für Potsdam

Potsdam (dts Nachrichtenagentur/ADN-lbg). Eine politische und wirtschaftliche "Blockade" Potsdams befürchtet Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) für den Fall der Wahl des PDS-Kandidaten Rolf Kutzmutz zum Oberbürgermeister. Im Westen mache sich Groll breit, für "die roten Socken da drüben Aufbauhilfe zu leisten", sagte Stolpe in der Nacht zum Samstag vor der Presse in Potsdam. Zudem würden durch den ehemaligen SED-Wirtschaftssekretär Investoren verprellt. Den Potsdamern müsse klarwerden, "daß die Stichwahl am 19. Dezember der Ernstfall für die Landeshauptstadt ist".

Diese Auffassung bestätigte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl. "Wer in die Aufbruchstimmung hinein Kommunisten an die Schalthebel der Macht zurückwählt, gefährdet die eigene Zukunft", sagte er in einem Interview der "Bild am Sonntag". Investitionen von zwei Milliarden Mark würden gefährdet und Potsdam in eine "hausgemachte Wirtschaftskrise" gestürzt, wenn ein PDS-Wahlerfolg dazwischenkomme, erklärte Stihl. Nach Angaben der Zeitung schiebt das Potsdamer BMW-Autohaus Ehrl bereits die Grundsteinlegung für ein elf Millionen Mark teures Autohaus auf.

Kutzmutz, der bei den Kommunalwahlen auf 45 Prozent kam, während Amtsinhaber Horst Gramlich (SPD) nur 29 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte, wies dieses Argument in einem Zeitungsinterview erneut als "schlichtweg dumm" zurück. "Wer hier schon ein paar Millionen hingesetzt hat, wird den Teufel tun, wegen Kutzmutz aus der Stadt zu gehen". Er versicherte seine Bereitschaft, mit jedem Investor zu sprechen. Einige hätten sich bereits gemeldet.

Nach Ansicht Stolpes "wäre es besser für Kutzmutz, die Stadt und das Land, wenn Kutzmutz die Wahl verliert". Zum einen hätte der jüngst der IM-Tätigkeit überführte Kutzmutz mit nur neun PDS-Sitzen im Stadtparlament eine Mehrheit gegen sich, gegen die er nichts durchsetzen könne. Vor allem aber würde in der gegenwärtigen politischen Situation in Deutschland eine "Konfrontation organisiert, die Potsdam nicht verkraftet", sagte Stolpe.

Nach Ansicht des Regierungschefs wollten die Wähler mit ihrem Votum dem "Magistrat einen Denkzettel für seine Politik" verpassen. Zum anderen sei das Ergebnis Reflex der Defizite im deutschen Integrationsprozeß. Eine "Schar von Menschen", darunter viele Hochschulabsolventen, fühlten sich ausgegrenzt. Der Regierungschef, der den Wahlkampf Gramlichs unterstützt, räumte ein, daß es der PDS gelungen ist, "werbewirksame Personen" aufzubauen und linke sozialdemokratische Positionen zu besetzen. Für die SPD gelte es jetzt, sachliche Auseinandersetzung mit den Themen der PDS zu betreiben. Er warnte vor einer Verteufelung von PDS-Politikern und Wählern.

Die drei Tage vor den Wahlen durch den SPD-Parlamentspräsidenten Helmut Przybilski erfolgte Enttarnung Kutzmutzs als IM bezeichnete Stolpe als Bumerang, der eine Solidarisierungswelle ausgelöst habe. Auch Kutzmutz habe ein Recht auf Einzelfallprüfung wie sie sich nicht zuletzt "auf meinem Buckel" in den letzten zwei Jahren durchgesetzt habe.

psc/tba

111124 Dec 1993