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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 04.07.1993, 11:51 Uhr.

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PotsTausend
(Wochenend-Zusammenfassung) Potsdam feiert 1.000jähriges Bestehen - Von Weizsäcker ruft zu verantwortlicher Mitarbeit im Gemeinwesen auf - Weit über Hunderttausend kamen zum zweitägigen Volksfest in der City

Potsdam (dts Nachrichtenagentur/ADN). Potsdam hat am Sonnabend mit einem Gottesdienst in der Nikolaikirche und einem Festakt offiziell sein tausendjähriges Bestehen begangen. Daran nahmen Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) sowie Hohenzollernchef Louis Ferdinand teil. Das Staatsoberhaupt appellierte in einer Rede auf dem Festakt im Theaterhaus an die Bundesbürger, verantwortlich im Gemeinwesen mitzuarbeiten. Man sehe derzeit im Staat zu sehr eine "Dienstleistungsmaschinerie", die die Wünsche und Ansprüche der Bürger zu erfüllen habe, ohne daß man zu Dienstleistungen oder Mitverantwortung verpflichtet sei.

Die preußischen Tugenden Pflicht und Disziplin, Ordnung und Sparsamkeit könnten als Eigenschaften gelten, die Preußen großgemacht hätten, sagte er. Aus der Geschichte habe man aber gelernt, daß diese Eigenschaften auch mißbraucht werden könnten. Dennoch sollte man den preußischen Eigenschaften Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In einem demokratisch vereinigten Europa könnten die alten preußischen Wesenszüge der Achtung vor dem Recht, der Loyalität gegenüber dem Mitbürger und des Pflichtgefühls von unschätzbarem Wert für alle werden. Richard von Weizsäcker trug sich in das Goldene Buch der Stadt ein.

Auch der Berliner Theologieprofessor Richard Schröder, SPD-Fraktionschef in der letzten DDR-Volkskammer, mahnte zu einer differenzierten Betrachtung der Geschichte Potsdams. Das Jubiläum sei kein Anlaß zu einem "Bußtag", doch dürfe die zwiespältige Rolle Preußens in der Historie nicht vergessen werden. Schröder forderte dazu auf, im dritten Jahr der deutschen Einheit das Zusammenwachsen von einst vertriebenen und gebliebenen Einwohnern Potsdams in Toleranz zu gestalten.

Die Veranstaltungen wurden von vereinzelten Protesten begleitet. So forderten Schauspieler des Hans-Otto-Theaters von Weizsäcker während des Festaktes auf, sich dem grassierenden Kulturabbau in Deutschland entgegenzustellen. Wie anderen Theatern drohe auch der Potsdamer Spielstätte durch Etatkürzungen das Aus. Die Initiative "TrotzTausend" kritisierte die Kosten von knapp zehn Millionen Mark für die sechsmonatigen Jubiläums-Feierlichkeiten.

In die "Feststadt der 1.000 Lustbarkeiten" in der City strömten am Wochenende bei Hochsommertemperaturen weit über 100.000 Menschen. Dort trieb zugleich "Geister"-Prominenz zwei Tage lang ihr Unwesen: Figuren, die seit der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt am 3. Juli 993 Geschichte machten, unterhielten die Besucher aus Berlin und Brandenburg. So wandelte Friedrich der Große im Gespräch mit Voltaire durch die Straßen, erteilte Kaiser Wilhelm II. seine Befehle und promenierte Sophie Charlotte, eskortiert von Kürassieren. Rund 300 Laiendarsteller in Defa-Kostümen beteiligten sich an dem Historien-Spektakel. Auf 13 Bühnen wurden Episoden aus der Geschichte der Stadt erzählt wie etwa von der Flucht Friedrich II. vor seinem gestrengen Vater, dem "Soldatenkönig", und vom "Müller von Sanssouci".

Bis Sonntagmittag meldete die Polizei keinerlei Zwischenfälle. Ausschreitungen von Hausbesetzern, die bereits mit Eiern gerüstet auf dem Weg zum Fest waren, wurden verhindert.

lbg/psc/hwa

040951 Jul 1993