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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 24.07.1993, 14:21 Uhr.

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Justiz/Schnur/Zulassung
Wolfgang Schnur wurde Anwaltszulassung entzogen - Berliner Justizverwaltung: Gegen "Grundsätze der Menschlichkeit" verstoßen

Berlin (dts Nachrichtenagentur/ADN). Die Berliner Justizverwaltung hat dem 49jährigen Rechtsanwalt und ehemaligen Vorsitzenden des "Demokratischen Aufbruchs", Wolfgang Schnur, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft "mit sofortiger Wirkung" entzogen. Das teilte die Berliner Justizsprecherin Uta Fölster am Sonnabend in einer Presseerklärung mit.

Die Entscheidung beruhe auf einem 1992 erlassenen Bundesgesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, heißt es. Dieses Gesetz ermögliche den Widerruf einer Zulassung, "wenn sich ein Anwalt gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit vergangen" hat. Schnur sei von der Justizverwaltung für "unwürdig" gehalten worden, den Beruf eines Rechtsanwaltes auszuüben, da er "über viele Jahre hinweg eine Vielzahl dem SED-Regime gegenüber kritisch eingestellte Personen belastet" habe. Von besonderem Gewicht sei, daß er als IM unter Verstoß der Schweigepflicht dem MfS Auskunft über seine Mandanten, insbesondere Ausreisewillige und Wehrdienstverweigerer, gegeben habe.

Frau Fölster bestätigte damit einen Bericht des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", der in seiner jüngsten Ausgabe über den Fall Schnur berichtet. Laut "Spiegel" will Schnur, der kurz vor der Volkskammerwahl im März 1990 als Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter enttarnt worden war, gegen die Verfügung den Berliner Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte anrufen. Wolfgang Schnur betrieb bislang eine Kanzlei unweit des Berliner Kurfürstendamms.

Neben Schnur wurde noch einem weiteren Berliner Rechtsanwalt die Zulassung entzogen. Nach den Worten von Frau Fölster ergab sich in diesem Fall die Unwürdigkeit "aus seiner jahrelangen schwerpunktmäßigen Tätigkeit als Strafrichter auf dem Gebiet des politischen Strafrechts der DDR".

Mit diesen Bescheiden wurde erstmals in Berlin zwei früheren DDR-Rechtsanwälten die Zulassung entzogen. Nach Angaben der Justizverwaltung war bei 106 Anwälten und Notaren aus der Ex-DDR "mangels Anhaltspunkten" von vornherein kein Überprüfungsverfahren eingeleitet worden. Für die restlichen rund 500 Rechtsanwälte und Notare seien dagegen Überprüfungen angeordnet worden. In 47 Fällen wurde laut der Behörde mittlerweile die Entscheidung getroffen, "daß keine Unwürdigkeit im Sinne des Gesetzes vorliegt".

bln/cel

241221 Jul 1993