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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 14.04.1993, 08:02 Uhr.

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Jagd/Wilderei
In Ostdeutschland sind immer mehr Wilddiebe unterwegs - Jagdverbände

vermuten Ex-Stasi-Jäger hinter organisierter Wilderei

--Von ADN-Korrespondentin Christina Rathmann--

Berlin (dts Nachrichtenagentur/ADN). Ein Wagen biegt nachts von einer großen Verkehrsstraße in einen Waldweg ab. Jemand steigt aus, geht aber nicht weit. Ein Scheinwerfer erfaßt eine Gruppe äsendes Wild, ein schallgedämpfter Schuß stört die Stille nur kurz. Wilderer verstehen ihr schmutziges Handwerk, und kaum einer wird gefaßt. Im Schutz der Dunkelheit laden sie ihre Beute ein und sind über die nahe Straße schnell wieder verschwunden.

"Nur manchmal findet ein Jäger noch Innereien oder beschossene Tiere, und kann auf Wilderei schließen", berichtet Dietrich Kramer, Geschäftsführer des Landesjagdverbandes (LJV) Sachsen-Anhalt, "die Aufklärungsrate ist gering." Die Wilddiebe verwendeten gefälschte Kennzeichen, um auch zufälligen Beobachtern keine Anhaltspunkte zu geben.

Nach Erkenntnissen des Deutschen Jagdschutz-Verbandes wird in Ostdeutschland immer mehr gewildert. Ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht werden sogar hochträchtige Tiere getötet, teilte die Organisation in Bonn mit. Im Herbst sind dabei besonders die "Trophäenträger" wie Hirsche gefährdet. Wilddiebe schießen sie ab, nehmen Kopf und Geweih und lassen den Kadaver im Wald zurück.

"Der größte Teil der Wilderer ist aber auf das Wildbret aus", vermutet Klaus Ribbeck, Geschäftsführer des LJV Mecklenburg-Vorpommern. 85 Fälle von Wilderei sind dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern 1992 bekannt geworden, ein Jahr zuvor waren es noch 38. In Thüringen wurde im ersten Quartal dieses Jahres kaum eine Veränderung im Vergleich zum Vorjahr festgestellt; im gesamten Jahr 1992 waren rund 100 Fälle von Jagdwilderei bekannt geworden, rund 30 Prozent wurden aufgeklärt. Im ganzen Bundesgebiet konnten von den 2.856 gemeldeten Fällen 2.015 aufgeklärt werden. Die Behörden gehen jedoch von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus.

Ribbeck und sein Kollege Günter Koch, Assistent der thüringischen LJV-Geschäftsführung, nehmen an, daß die Wilderer bereits teilweise organisiert sind und einen Markt in Westdeutschland haben. Koch vermutet, daß ehemalige Stasi-Mitarbeiter, die früher in den Staatswäldern der DDR jagen durften, die Fäden ziehen. In manchen Forsten Thüringens sei Wild zur Jagd durch Prominente gemästet worden - einer der Gründe für den überhöhten Hochwildbestand in den früheren Grenzkreisen des Landes. Den Promi-Jägern von damals sei zwar aus politischen Gründen der Jagdschein entzogen worden, doch nach Meinung Kochs könnten sie die Wilddiebe "führen".

In den neuen Bundesländern geht man erst jetzt daran, sich des Problems intensiver anzunehmen. Die Umstrukturierung des Forstbetriebes hatte bislang alle Kräfte in Anspruch genommen. Das brandenburgische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bemüht sich gerade, wenigstens den Umfang der Wilderei festzustellen. In den Wäldern geht derweil das Wildern weiter - trotz der Schonzeit. Auf der Insel Usedom wurde in diesem Monat sogar ein Revierinhaber von Wilderern beschossen, nachdem er selbst einen Warnschuß abgegeben hatte.

chr/muc

140602 Apr 1993