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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 17.12.1993, 14:09 Uhr.

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ADN1028 4 pl 225

bln/pl/Justiz/Harich
(Korrigierte Neufassung) Harich wegen Zeugnisverweigerung mit 800 Mark Ordnungsgeld belegt

Berlin (dts Nachrichtenagentur/ADN-bln). Der Philosoph und frühere SED-Dissident Wolfgang Harich ist am Freitag vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit 800 Mark Ordnungsgeld belegt worden. Bei Nichtzahlung werden ersatzweise acht Tage Ordnungshaft angedroht. Harich weigert sich, gegen den letzten noch lebenden Richter der politischen Schauprozesse von 1957, Hans Reinwarth, auszusagen, da dessen Straftaten aufgrund des Einigungsvertrages bereits verjährt seien. Reinwarth hatte ihn damals "wegen Bildung einer staatsfeindlichen Gruppe" zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft beim Berliner Kammergericht wies die Argumentation Harichs zurück und verwies darauf, daß sich auch ein Prominenter nicht aussuchen könne, ob und vor wem er bereit sei, als Zeuge einer mutmaßlichen Straftat auszusagen. Nicht einem Zeugen obliege die Klärung von Rechtsfragen, wie beispielsweise der des Verjährungseintritts, sondern allein den Staatsanwaltschaften und Gerichten.

Wie Harichs Rechtsanwalt Johannes Eisenberg mitteilte, kam schon früher angedrohte Beugehaft für das Amtsgericht nicht in Frage, da sein Mandant an einer schweren Herzkrankheit leide. Im ärztlichen Attest war Harich allerdings Vernehmungsfähigkeit bescheinigt worden. Dagegen wandte der Philosoph ein, daß sein Gesundheitszustand durch die polizeiliche Vorführung am Morgen schwer beeinträchtigt worden sei.

Eisenberg hatte schon früher darauf verwiesen, daß Beugehaft gegen Harich auf jeden Fall ungeeignet wäre, da dieser sich auch durch die mehrjährige Stasihaft nicht beugen ließ. Auch habe sich gezeigt, daß die bisher verhängten zwei Ordnungsgelder wegen früherer Verweigerung von Zeugenaussagen über seinen DDR-Richter Reinwarth zu nichts führten.

bsd/hoe/nth

171309 Dec 1993