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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 12.01.1994, 20:34 Uhr.

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Presse 20/Grüne Woche
"Der Tagesspiegel" (Berlin)

"die gruene woche, die am freitag wieder ihre tore oeffnet, findet diesmal unter veraenderten vorzeichen statt. zwar bleibt die vielgeliebte "fressa" fuer das berliner publikum ? und die meisten angereisten gaeste ? zunaechst einmal das, was sie schon immer war: eine guenstige gelegenheit, die kulinarischen genuesse dieser welt zu kosten. am vertrauten bild in den hallen unterm funkturm wird sich, so gesehen, wenig aendern. auch die veranstalter duerfen ihr flaggschiff wieder als die groesste branchenmesse anpreisen, die sich als diskussionsforum fuer fragen der landwirtschaft, ernaehrungswirtschaft und gartenbau bewaehrt hat. mehr noch: manche schwierigkeiten, die im letzten jahr an der bedeutung der gruenen woche leise zweifel aufkommen liessen, sind ueberwunden. der platz der messe, deren schicksal im schatten des politischen wandels zweitweise in frage gestellt wurde, scheint gesichert. 1994 gibt es keine unsicheren kantonisten mehr: alle bundeslaender stehen wieder geschlossen hinter dieser ausstellung der haupstadt, die sich peu a peu zur fachmesse mausert und dennoch als willkommener kassenmagnet fuer berlin behauptet. und trotzdem: der gruenen woche kommt zunehmend neue bedeutung zu. nachdem sich die messe? uebrigens das bedeutendste forum seiner art auch fuer den bundeslandwirtschaftsminister? in mauerzeiten immer staerker auf die praesentation von nahrungsmitteln konzentrierte, hat sie nun die chance, sich wieder mehr den schicksalsfragen der landwirtschaft zu widmen. sie kann damit einen beitrag zur debatte eines themas leisten, das erstaunlicherweise in der oeffentlichkeit stets nur geringe beachtung findet, obwohl doch alle an der zukunft von landwirtschaft und landschaft interessiert sein muessten. das mag zum einen daran liegen, dass das gleichsam komplizierte wie kostspielige system staatlicher preisunterstuetzung zu einer voelligen buerokratisierung auch der deutschen landwirtschaft fuehrte und der branche den stempel des ungeliebten subventionsempfaengers aufdrueckte. in der tat gehoeren die landwirtschaft neben bergbau und werften immer noch zu den teuersten kostgaengern von vater staat. es mag aber auch daran liegen, dass die deutsche landwirtschaft nur einen bescheidenen anteil an der gesamtwirtschaftlichen leistung erbringt: lediglich drei prozent aller erwerbstaetigen arbeiten hier und erwirtschaften nicht einmal anderhalb prozent des bruttosozialproduktes. fast umgekehrt proportional ist das gehoer, dass sich die bauern auf internationaler buehne immer wieder verschaffen koennen. besonders deutlich wurde dies in den vergangenen jahren, als die eg-agrarreform und die schlussphase der gatt-runde von lautstarken protesten begleitet wurde. der erbitterte streit um die neue rolle der landwirtschaft war und ist mit der unabaenderlichen erkenntnis verbunden, dass eine derart hoch subventionierte und wettbewerbsverzerrende ueberschussproduktion nicht laenger zu finanzieren ist. zwar bleibt der europaeischen landwirtschaft auch nach dem gatt-abkommen zunaechst zwei drittel ihrer vielfaeltigen importbarrieren erhalten, doch der erstmals in den welthandelsgespraechen festgeschriebene befristete abbau von subventionierte agrarexporten dokumentiert den permanenten zwang zum wandel. genau dieser wandel spielt sich auch unmittelbar vor der haustuere berlins ab. ob in den doerfern im norden oder im sueden berlins, ob in stolpe oder bei kleinmachnow, allerorten ist der umbruch zu besichtigen. dabei haben die ehemaligen lpg"s, die landwirtschaftlichen produktionsgenossenschaften, wo nur noch ein fuenftel aller einst beschaeftigten arbeiten, natuerlich noch ihre besonderen schwierigkeiten. die relative groesse ostdeutscher betriebe, die gegenueber den meist baeuerlichen familienbetrieben im westen durchaus wettbewerbsvorteile mit sich bringt, hat naemlich auch ihre schattenseiten. politische kompromisse konnten zwar schlimmeres verhueten, doch die frage, welche zukunft der landwirtschaft im industriestandort deutschland zukommt, ist offen. auf der gruenen woche werden antworten angeboten."

ddp/ADN

121934 Jan 1994