Presse 25/SPD/Scharping
"Der Tagesspiegel" (Berlin)

"sollte aber die spd in den zurueckliegenden monaten tatsaechlich defizite in bezug auf ihre kompromissfaehigkeit gehabt haben, so muss dies der oeffentlichkeit verborgen geblieben sein. die sah, im gegenteil, oft genug eine opposition, die der regierung, die sie abloesen wollte, immer aehnlicher wurde, derweil sie es an eigenen konzepten und konturen fehlen liess.

folgt man scharping, so sollen diese nun dadurch hervorgebracht und sichtbar gemacht werden, dass die spd tatsaechlich zu dem wird, als was sie sich bereits im wahlkampf ausgab: die bestimmende kraft fuer die modernisierung deutschlands. insofern mutet das, was scharping propagiert, wie ein stueck nachgeholter wahlkampf an, wobei der adressat indes nicht die gesamte waehlerschaft ist, sondern die partei ? und er selbst. wenn dies als machtwort gedacht war, dann ist es eines, das in erster linie die eigene schwaeche illustriert. die richtung der geforderten korrektur zielt nicht etwa auf gefilde jenseits der bislang abgesteckten denkwelt der scharping-spd, sondern geradewegs in ihr zentrum. dort aber ging es immer schon um den politischen mainstream ? nur eben offenbar noch nicht mit ausreichender konsequenz. wenn nun auch jemand wie renate schmidt populistisch dazu aufruft, das thema des missbrauchs sozialer leistungen nicht allein der union zu ueberlassen, sondern selbst in dieser sache offensiv zu werden, dann spricht das fuer sich.

nichts hat die spd in letzter zeit so sehr zu beunruhigen vermocht wie jene strategischen szenarien des politischen gegners, bei denen ihr immer nur die rolle des ""gesamtbetriebsrats der republik"" zufiel."

ddp/ADN

271907 Nov 1994