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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 12.07.1995, 14:58 Uhr.

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China/Besuch/Zemin/Daimler/Korr
"Autonarr" Jiang Zemin im Reich des Automobils - Chinas Präsident informiert sich in Stuttgart über Automobilprojekte

--Von ddpADN-Korrespondent Rainer Frick--

Stuttgart (dts Nachrichtenagentur/ddpADN). Wenn es um das Reich der Mitte geht, hatte das Volk der Schwaben schon immer die Nase vorn. Der frühere Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wußte es schon vor 20 Jahren: "Ich sage nur: China, China, China." Heute würden die meisten Politiker und Wirtschaftsführer im Musterländle antworten: "Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft".

Entsprechend höflich wurde der chinesische Präsident Jiang Zemin zum Auftakt seines mehrtägigen Deutschlandbesuches denn auch im "Reich des Automobils" empfangen. In keinem anderen Bundesland hängen so viele Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Automobilindustrie ab. Fehlanzeige dagegen bei der Frage nach den Menschenrechten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) brachte es auf den Punkt: "Wenn ich einen Gast einlade, dann kann ich ihn doch nicht beschimpfen."

Verschiedenen Friedensgruppen, Mitgliedern von amnesty international, der Tibet-Initiative und chinesischen Studenten war soviel vorauseilende Gastfreundschaft für den Führer aus dem Reich der Mitte dann doch zuviel. Mit Transparenten und Trillerpfeifen verschafften sie in Reichweite des Neuen Schlosses ihrem Unmut Luft.

Im Inneren des ehrwürdigen Schlosses hatte sich am Mittwoch alles versammelt, was in der baden-württembergischen Wirtschaft Rang und Namen hat. Top-Manager von Bosch, Daimler-Benz und Porsche sprachen mit dem Gast über neue Großprojekte. Daimler-Benz Chef Jürgen Schrempp zitierte hinterher sogar Mao, um den Gesprächserfolge zu dokumentieren. "Wir stehen vor einem Riesensprung auf den chinesischen Markt."

Gleichzeitig verkündete Schrempp den "Durchbruch" für den Bau einer Großraumlimosine in China. Das Projekt soll gemeinsam mit der South China Motor Corporation auf den Weg gebracht werden. Dieses Projekt mit einem Investitionsvolumen von 1,4 Milliarden Mark ist das einzige Automobilprojekt, das die chinesische Regierung bis zum Jahr 2000 verwirklichen will. Dem Nobelkarossenhersteller aus Schwaben scheint es damit gelungen zu sein, die amerikanischen Konkurrenten Chrysler aus dem Feld zu schlagen. 60.000 Großraumlimosinen sollen in nicht allzuferner Zukunft vom Band rollen, zusätzlich noch 100.000 Benzin- und Dieselmotoren.

Auch bei der Busproduktion kamen sich Mercedes und die Chinesen näher. Der ausgewiesene Autonarr Jiang Zemin durfte sich im Sindelfinger Mercedes-Werk höchstpersönlich ein Bild von schwäbischer Wertarbeit machen. Sichtlich verzückt betrachtete er den Fuhrpark aus blitzenden Nobelkarossen der C-, E- und S-Klasse. Auf taube Ohren stießen dagegen die Appelle des Dachverbandes der Kritischen Aktionäre. Er hatte Schrempp aufgefordert, die geplanten Vertragsunterzeichnungen einzufrieren, solange der chinesische Regimekritiker Harry Wu und andere Oppositionelle gefoltert würden.

Ohne Ergebnis verliefen allerdings die Gespräche für das geplante Familienauto der Chinesen. Automobilhersteller aus aller Welt haben in Peking ihre Vorschläge eingereicht. Selbst Porsche-Manager Wendelin Wiedeking versuchte bei den Stuttgarter Gesprächen, dem Chinesen den Entwurf des Zuffenhausener Sportwagenherstellers schmackhaft zu machen. "Vor Jahrzehnten hat Porsche mit dem VW schon einmal ein Volksauto entworfen, warum nicht auch eines für China."

Nach soviel Autoinformationen durfte der chinesische Staatsgast zum Abschluß seines Schwabenlandaufenthalts auch noch ein umweltverträglicheres Fortbewegungsmittel ausprobieren. Von Ludwigsburg aus benutzte für seine Weiterfahrt den ICE.

fri/hoe

121258 Jul 1995