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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 30.07.1992, 09:05 Uhr.

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ADN8004 4 ku 382

lsc/ku/Literatur/Comenius/Fachbibliothek/Leipzig
Neuer Start für größte deutsche Pädagogik-Bücherei im 400. Geburtsjahr ihres Namensgebers Comenius

--von ADN-Korrespondent Claus Stäcker--

Leipzig (dts Nachrichtenagentur/ADN-lsc). Gleich zweimal "abgewickelt" wurde die bedeutendste deutsche Pädagogik-Fachbibliothek, die Comenius-Bücherei in Leipzig. Nach der Auflösung der Akademie der Wissenschaften verschwand der erste "Brötchengeber", mit der Abwicklung der Pädagogischen Hochschule in Leipzig nunmehr bereits der zweite. Mit Beginn des Wintersemesters am 1. Oktober soll das Schicksal der einzigartigen Sammlung endgültig entschieden werden: Die Comenius-Bücherei wird Teil der Universitätsbibliothek.

Namenspatron der weit über die Grenzen der Messestadt hinaus bekannten Leipziger Bibliothek ist der vor 400 Jahren geborene Philosoph, Theologe, Sprachwissenschaftler und Schulreformator Jan Amos Comenius (1592-1670). Doch erst 200 Jahre nach dem Tod des Gelehrten - der eigentlich schlicht slawisch Komensky hieß - fand der als Begründer der neuzeitlichen Pädagogik angesehene Tscheche auch an der Pleiße gebührende Anerkennung.

Im Jahr der deutschen Reichsgründung 1871 initiierte der als liberal geltende Leipziger Lehrerverein auf Anregung des progressiven Volksschullehrers Julius Berger mit der "Comenius-Stiftung" den beispiellosen Werdegang der Fachbibliothek. Mit zunächst nur wenig mehr als 2.000 Bänden wurde sie schon 1872 Zentralarchiv der deutschen Pädagogikforschung. Ziel war es, das Schrifttum der für Erziehung und Unterricht notwendigen Wissensgebiete möglichst vollständig zu sammeln und zur Nutzung bereitzustellen.

In Leipzigs Glanzzeit, von den Gründerjahren bis zum Ersten Weltkrieg, fiel auch der Bau des würdigen Gebäudes, das noch heute Heimstatt der Comenius-Bücherei ist. Das vierstöckige Jugendstil-Haus in der Schenkendorfstraße wurde 1905 übergeben. In den folgenden Jahren entwickelte sich die einzigartige Pädagogik-Kollektion mit einem Bestand von über 300.000 Bänden zur bedeutendsten in ganz Deutschland, was sie trotz weitgehender Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg auch bis heute blieb.

Die Bücherei wurde Außenstelle der 1951 gegründeten Pädagogischen Zentralbibliothek Berlin. Bis 1969 betrug der Bestand bereits wieder eine Viertelmillion Bücher. Zu den heute 308.000 "bibliographischen Einheiten" gehört die vom Krieg verschont gebliebene Sammlung "Paedagogica rara", mit Raritäten, die bereits 400 Jahre auf dem (Buch-)Buckel haben. Darunter Erstausgaben pädagogischer Werke vom Ende des 16. Jahrhunderts. Eine Sammlung von Schriften "höherer Schulen" dokumentiert deutsche Schulgeschichte von 1820 bis 1930. Einige der schönsten Stücke waren als Leihgabe kürzlich auch bei einer Ausstellung aus Anlaß des Comenius-Jubiläums in Berlin zu sehen. Zahlreiche Neuerwerbungen aktualisierten seit 1989 die etwas "angestaubte" Literaturliste: Lehrbücher, Belletristik, Kinder- und Jugendbücher, Bildbände, populärwissenschaftliche Arbeiten und zahlreiche Fachzeitschriften. Die Benutzung der Bücherei ist - getreu dem seinerzeit revolutionierenden Bildungsmotto Komenskys - "alles für alle" - auch heute noch gratis.

300705 Jul 1992