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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 19.01.1995, 18:26 Uhr.

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ddp/ADN2178 3 vm 354

lbg/vm/Prozeß/Steuerbetrug/Urteil
(Ausführlich ddp/ADN2176 lbg) Siebenjährige Haftstrafe im Prozeß um Steuerbetrügerei

Potsdam (dts Nachrichtenagentur/ADN-lbg). In einem der spektakulärsten Fälle von Steuerbetrügerei nach der Einheit in Ostdeutschland hat das Landgericht Potsdam am Donnerstag eine siebenjährige Haftstrafe gegen den angeklagten Ex-Steuerinspektor Reinhard F. aus Nordrhein-Westfalen verhängt.

Die 3. Große Strafkammer unter Richter Hans Reinwarth sah es als erwiesen an, daß sich der 39jährige F. als Leihbeamter im Finanzamt Potsdam-Land von April 1992 bis Mai 1994 illegal aus der Staatskasse bedient und in 22 Fällen rund 7,2 Millionen Mark veruntreut hat. Es folgte im wesentlichen dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft. F. habe sich skrupellos die Umbruchsituation und die nichtkonsolidierten Verhältnisse im Osten zunutze gemacht. Er habe in eklatanter Weise seinem eigentlichen Auftrag entgegengearbeitet.

Das Gericht würdigte aber, daß F. nach Bekanntwerden der Betrügerei freiwillig aus seinem Urlaubsort USA zurückgekehrt und sich den Ermittlungsbehörden gestellt sowie ein volles Geständnis abgelegt hatte.

Familiäre und Geldsorgen nannte der in Scheidung lebende Vater einer Tochter als Hauptmotiv für sein kriminelles Tun. Zudem habe er seine Leistungen als Finanz-Beamter nicht ausreichend honoriert gesehen. In der Familie habe es gekriselt, Geldsorgen und Alkoholprobleme seien auf der Tagesordnung gewesen.

Vor dem Landgericht hatte der Angeklagte offenbart, bereits vor der Potsdamer Zeit Steuergelder veruntreut zu haben. Dabei soll es sich um rund 800.000 Mark handeln, die F. von 1984 bis 1987 als Steuerassistent in Gelsenkirchen für sich zur Seite geschafft hatte.

Das Prinzip von Potsdam und Gelsenkirchen war ähnlich. Firmen und Vereine wurden ausgedacht, die jeweils ein Konto erhielten. Auf diese wurden fingierte Rückerstattungsbeträge für Lohn- oder Umsatzsteuern angewiesen. Einzig zugangsberechtigt war in den meisten Fällen F. Ergänzt wurde das System mit Konten von wirklich lebenden Personen, die in der Hauptregie eines ehemaligen Kumpels von F. angelegt und geführt wurden.

Aufgeflogen waren die Betrügereien im Mai 1994. F. befand sich mit seiner Freundin in einem USA-Urlaub. Nach einem mißglückten Selbstmordversuch nahm F. Verbindung zu seinem Anwalt in Deutschland auf. Obwohl er fließend englisch spricht, in den USA Aussicht auf einen Job hatte und zugleich eine Auslieferung an Deutschland laut US-Recht nicht zu fürchten brauchte, stellte sich F. den Behörden. Ein Geständnis folgte ebenso wie eine siebenseitige Aufstellung aller mit dem ergaunerten Geld erfolgten Anschaffungen: Schmuck, Autos, Häuser, Bausparverträge, Lebensversicherungen, kapitalbildende Konten...

Der sichtlich gebrochene F. beteuerte Reue und bekannte sich zur Wiedergutmachung. Rund 2,3 Millionen Mark der Beute fehlen bislang.

pae/cok

191726 Jan 1995