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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 01.06.1995, 21:23 Uhr.

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ddp/ADN0469 4 pl 317

Presse 47/Tschechien/Deutschland
"Neue Osnabrücker Zeitung"

"helmut kohl hat sich zeit gelassen, die ausgestreckte hand von vaclav havel zu ergreifen. die rede des praesidenten mit dem sehnlichen wunsch nach versoehnung mit den deutschen nachbarn liegt fuenf jahre zurueck. damals war havel noch staatschef der tschechen und slowaken. die staatliche trennung der beiden voelker war ein langwieriger prozess, der eine gewisse vernachlaessigung der beziehungen zwischen bonn und prag zur folge hatte. auch die wiedervereinigung lenkte ab. ausserdem trug die mutige rede havel sehr viel innenpolitischen aerger ein. der hausherr auf der prager burg war unzaehligen tschechen zu deutschfreundlich. es muss daher kein nachteil sein, dass der bundeskanzler in seiner regierungserklaerung mit ziemlicher verspaetung die initiative zur verstaendigung mit tschechien ergriffen hat. die fruchtbare wirtschaftliche zusammenarbeit und die millionenfachen kontakte zwischen den menschen beiderseits der grenze haben die zeit gewiss reifen lassen fuer den notwendigen politischen dialog. die hohen hindernisse, die einer guten nachbarschaft und einem friedlichen miteinander im wege stehen, sind nur zu ueberwinden, wenn auf beiden seiten eine wachsende bereitschaft dazu vorhanden ist. kohl ging auf die tschechen zu. er sprach die bitteren wahrheiten klar und deutlich aus. bereits durch die machtergreifung hitlers habe deutschland sich schuldig gemacht und alles leid und elend zwischen den beiden voelkern ausgeloest. auch die vertreibung der sudetendeutschen gehoere in diesen historischen zusammenhang, wodurch das damit verbundene unrecht nicht recht geworden ist. zur versoehnung fuehrt keine einbahnstrasse. im gegensatz zur opposition im bundestag ging kohl auf die tschechischen forderungen nach einer entschaedigung fuer die ns-opfer nicht ein. das bedeutet keineswegs eine absage an die menschen, die unter der braunen gewaltherrschaft furchtbares erdulden mussten. die frage der entschaedigung gehoert in den gesamtkomplex der ungeloesten probleme. das wurde auch in prag so verstanden. nach auffassung des aussenministeriums legte kohl die 'grundlage fuer baldige gespraeche'. das signal aus bonn ist also angekommen. der dialog kann und wird beginnen. dass er chancen hat, zeigt schon diese positive erste tschechische reaktion. der weg in eine bessere zukunft steht somit offen. bei den kommenden verhandlungen koennte ein versoehnungsfonds, den der bayerische ministerpraesident stoiber fuer die opfer auf beiden seiten vorgeschlagen hat, zum durchbruch verhelfen."

ddpADN

011923 Jun 1995