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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 12.11.1996, 22:34 Uhr.

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ddp/ADN4006 4 pl 329

Presse 48/Justiz/DDR-Unrecht
"Neue Osnabrücker Zeitung"

"die entscheidung zu den mauerschuetzenprozessen reicht in ihrer bedeutung weit ueber die einzelfaelle der repraesentanten des zusammengebrochenen sed-regimes hinaus. die botschaft aus karlsruhe lautet: menschenrecht geht vor ddr-recht, ein selbst geschaffenes unrechtssystem kann nicht die elementaren grundsaetze der respektierung und des schutzes menschlichen lebens aufheben. diese klaerung hat lange auf sich warten lassen. aber die zeit ist gut genutzt worden. die begruendung des einstimmig gefassten urteils ist in jeder hinsicht so eindeutig, so praezise formuliert, dass fehlinterpretationen nicht moeglich sind. fuer die schreibtischtaeter, die den befehl fuer die todesschuesse an der ddr-grenze erteilten, und fuer die schiesswuetigen grenzsoldaten bleiben keine hintertueren offen. die sonst oft kritisierte juristische aufarbeitung der unseligen vergangenheit des zweiten deutschen staates - hier ist sie ueberzeugend gelungen. aber dieser spruch der karlsruher richter hat nicht allein tiefgreifende juristische bedeutung. vor allem koennen die psychologischen auswirkungen in den neuen laendern und dort besonders bei den opfern des ddr-regimes gar nicht hoch genug eingeschaetzt werden. denn jetzt laesst sich die bisher oft zu recht erhobene klage, die kleinen fange man und die grossen lasse man laufen, nicht mehr aufrecht erhalten. die zu langjaehrigen haftstrafen verurteilten ehemaligen ostberliner spitzenpolitiker heinz kessler, fritz strelitz und hans albrecht muessen nun damit rechnen, dass ihnen die strafverbuessung nicht laenger erspart bleibt. angesichts von mehreren hundert todesopfern an der unmenschlichsten grenze der welt und des unendlichen leids, das dieses unbarmherzige vorgehen gegen nach freiheit strebende landsleute ausloeste, ist die busse fuer die verantwortlichen eher milde. wer noch im fruehjahr 1989, als schon die ersten erosionserscheinungen des regimes sichtbar wurden, einen todesschuetzen an der mauer auszeichnete, hat den anspruch auf eine eilfertige vergebung verwirkt - um nur ein besonders signifikantes beispiel zu nennen. am treffendsten hat wohl der stellvertretende spd-vorsitzende thierse, der selbst 40 jahre ddr erlebte, die entscheidung der karlsruher richter charakterisiert: es war ein akt der gerechtigkeit und nicht der rache. deshalb gehen auch alle vorwuerfe der siegerjustiz und der willkuer ins leere. der rechtsstaat hat seine verpflichtung erfuellt. dies exakt unterscheidet ihn von dem unrechtsstaat der ddr, dessen protagonisten nun ihrer verdienten strafe entgegensehen."

ddpADN

122134 Nov 1996