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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 19.01.1996, 10:09 Uhr.

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Tschechien/Deutschland
(Übersicht) Grusa warnt vor Druck auf Prag bei "Bewertung der Vergangenheit"

- Kinkel: Scheinresultate helfen nicht

Bonn (dts Nachrichtenagentur/ddpADN). Deutschland und Tschechien haben nochmals ihr Interesse an einer gemeinsamen Erklärung zur Aussöhnung beider Staaten bekräftigt. Der Botschafter der Tschechischen Republik in Bonn, Jiri Grusa, wandte sich in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur ddpADN zugleich gegen eine Dramatisierung der jüngsten Schwierigkeiten bei den deutsch-tschechischen Verhandlungen. Allerdings dürfe auf Prag auch kein Druck bei der Bewertung der Vergangenheit ausgeübt werden.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) betonte, die Unterredung mit seinem Prager Amtskollegen Josef Zieliniec am vergangenen Freitag habe Fortschritte, "aber leider keinen Durchbruch" gebracht. In einem Interview des Bonner "General-Anzeigers" (Freitagausgabe) mahnte Kinkel in den offenen Vermögensfragen und in der Vertreibungsproblematik Ergebnisse an, die für beide Seiten "wirklich heilend, versöhnend" wirkten. "Scheinresultate" würden nicht weiterhelfen.

Grusa sprach ebenfalls von Fortschritten, doch sei die Annäherung "nicht so massiv gewesen, wie wir uns das vorgestellt haben". Angesprochen auf Äußerungen Kinkels, wonach er "mindestens eine moralische Distanzierung" von den sogenannten Benes-Dekreten brauche, betonte der Botschafter, hinsichtlich der "Bewertung der Vergangenheit" durch die tschechische Seite habe man bereits eine "passable vereinbarte Formulierung gefunden" gehabt. Während Tschechien diese Frage als abgeschlossen betrachtet habe, sei jedoch von deutscher Seite "da plötzlich noch etwas dazu" gekommen. Grusa warnte davor, in diesem Punkt Druck auf Prag ausüben zu wollen. Dies wäre "total kontraproduktiv". Kinkel sagte zum Verhandlungsstand, bisher gebe es nur einen Erklärungsentwurf. Dieser sei "zwangsläufig noch nicht endgültig und Veränderungen zugänglich".

Botschafter Grusa unterstrich zugleich, daß sich seine Regierung keineswegs brüskiert fühle, weil Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) aus Termingründen am Freitag nicht mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Vaclav Klaus während dessen privaten Besuchs in Bonn zusammenkommen wird. Dies bewerte man "ganz ruhig", da man selbst keinen entsprechenden "Antrag" gestellt habe.

Der stellvertetende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion Rudolf Seiters (CDU) bedauerte die Schwierigkeiten bei den deutsch-tschechischen Verhandlungen. In einem Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitagausgabe) betonte Seiters, die Position von Bundesregierung und Koalition sei von gutem Willen gekennzeichnet, die Beziehungen weiterzuentwickeln. Deutschland sei Anwalt der Tschechischen Republik, wenn es um den baldigen Beitritt zur Nato und zur Europäischen Union gehe. Auch bei der Aufarbeitung der Vergangenheit sei Bonn zu einer Politik der Vertrauensbildung, der Aussöhnung und damit zur Lösung der noch offenen Fragen bereit. Er könne jedoch nicht verstehen, wieso die tschechische Seite bis heute nicht bereit sei, das Unrecht der Vertreibung von Sudetendeutschen als solches zu benennen und sich davon zu distanzieren.

and/hoe

190909 Jan 1996