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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 28.11.1996, 09:53 Uhr.

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Reisen/Tschechien/Riesengebirge/Korr
Der kurze Weg über Hradek - Riesengebirge vor der Haustür

--Von ddpADN-Korrespondent Günter Gensicke--

Prag (dts Nachrichtenagentur/ddpADN). Noch wirbeln die Flocken nicht allzu dicht über dem Riesen- oder dem Isergebirge. In den vergangenen Tagen lagen sie in Pec pod Snezkou ganze vier Zentimeter hoch übereinander, oben an der Labska Bouda, der Elbbaude, waren es gerade mal zwei Zentimeter mehr. Doch das wird sich gewiß sehr schnell ändern - im November vorigen Jahres wäre man an der Hütte ohne Ski an den Füßen hoffnungslos bis zum Hals in dem weißen Wust versunken.

Schnee ist auch schon für die kommenden Tage angesagt, und zwar in überaus reichlichem Maße. Wer also die Vorzüge nordböhmischer Gebirgshänge erproben möchte, der sollte die Bretter schon mal rauskramen. Und auf der Karte den Weg ins Tschechische hinein über Zittau suchen. Dort gibt es unmittelbar am Rande der Stadt einen Übergang nach Polen. Die Landstraße dahinter ist jedoch nur wenig mehr als einen Kilometer lang, und dann passiert man erneut eine Grenze, nur diesmal die zu Böhmen. Der Weg ist erst Ende 1993 wieder unter die Räder genommen worden, obwohl er schon lange vor dem Kriege überaus frequentiert war. 1945 aber war der Zipfel Land zwischen Zittau und Hradek an Polen gefallen, dessen zuständige Wojewoden kaum Interesse daran zeigten, dort im äußersten und etwas verwilderten Südwesten Deutsche und Tschechen scharenweise quer durchs Land pilgern zu lassen. So waren die Leute aus Hradek, die Zittau fast mit der Hand erreichen konnten, gezwungen, über Varnsdorf zu fahren, wollten sie hinüber ins Lausitzer Land - ein Umweg von fast 100 Kilometern. Die Auseinandersetzung zog sich mit ansteigender Verbissenheit über Jahre hin. Selbst Lech Walesa, damals Präsident Polens, der 1991 selbst "die Hacke in die Hand nehmen wollte", mußte noch fast zwei Jahre warten, ehe das Hacken überhaupt Sinn machte.

Heute spricht Milan Faltus, Hradeks Bürgermeister, von 1.500 Autos täglich, die herüberkommen, und gar von 24.000 in der Hochsaison, vor allem an den Tagen, an denen in Sachsen Ferien ausbrechen. Dann allerdings stehen übelriechende Fahrzeugkolonnen bis weit in beide Orte hinein und lassen den Wunsch nach der Umgehungs-Schnellstraße bis hin zur Dresdener Autobahn nahezu überlebenswichtig erscheinen. Die, sagt Faltus, ab 1997 gebaut werden soll. Doch auch so bekommt Hradek der Anschluß an die Große Welt wie eine Badekur. Der Bürgermeister hat selbst das anderswo so gefürchtete Problem der Straßenprostitution im Griff. Im Ort drinnen fängt die Gemeindepolizei alles weg, was sich öffentlich darin versucht. Und an der Straße zur Grenze hin, da hat er nicht nur Halteverbot verordnet, sondern auch Seitenwege gesperrt und alles, was Uniform trägt, zu gnadenloser Aufmerksamkeit verpflichtet.

Für Sextouristen also ist Hradek nicht die richtige Adresse. Doch dort Station zu machen, ehe man weiter über die gutausgebaute Straße nach Liberec hin und ins Land hinein fährt, das lohnt sich durchaus. Es gibt 43 Gaststätten im Ort, von der Kaschemme bis hin zum soeben wiedereröffneten ersten Haus am Marktplatze, also ein ausreichend Angebot für jeden Geschmack. Was keineswegs immer der Fall war - vor dem großen Durchbruch durch den Grenzzaun verfügte das Städtchen über ganze sechs Kneipen. Supermärkte und Geschäfte sind eingestellt auf deutsche Käufer - Deutsche Mark wird zum gerade geltenden Kurs genommen.

Und wer nicht allzuviel Zeit hat und doch Skilaufen möchte, der kann ein Stück weiter fahren in Richtung auf Liberec und dann abbiegen hinüber zum Jested (Jeschken). Der Berg ist 1.012 Meter hoch, mit einer Seilbahn problemlos zu bezwingen, und überaus beliebt als Wintersportareal. Dort kann man auch Skispringen von mehreren Schanzen, Rodeln und Bobfahren, und ist am Abend auch schnell wieder zu Hause. Auf dem kurzen Weg über Hradek. gge/clp

280853 Nov 1996