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Sie sehen hier eine historische Nachrichtenmeldung der früheren Nachrichtenagentur ddp/ADN (ab 2010 "dapd") vom 07.05.1996, 10:55 Uhr.

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Kultur/Musik/Bachwoche/Korr
Greifswalder Bachwoche feiert 50. Jubiläum - Bachfest-Gründerin Annelise Pflugbeil erinnert sich an die Anfänge

--Von ddpADN-Korrespondent Ralph Sommer--

Greifswald (dts Nachrichtenagentur/ddpADN). In einem Strandkorb habe alles angefangen, erinnert sich Annelise Pflugbeil. "Gemeinsam mit meinem verstorbenen Mann Hans und dem Stettiner Musikprofessor Hermann Diener hatten wir im Frühjahr 1946 bei einem Besuch auf der Insel Hiddensee die Idee ausgebrütet. Ich hatte gerade von meinen Clavichord-Stücken der Bach-Sonaten erzählt, und Diener berichtete davon, daß er die Violinen- und Cembalo-Sonaten geübt habe. Da kam Hans auf den Gedanken, gemeinsam eine Musikwoche in Greifswald zu organisieren. Das war die Geburtsstunde der Greifswalder Bachwoche!"

Wenige Monate später, im September 1946 strömten die Menschen in Massen in die Kirchen der Hansestadt. "Nach den Jahren des Krieges waren die Leute seelig, für acht Tage Musik zu hören. Die Musiker spielten nicht für Geld, sondern kostenlos oder einfach nur für Naturalien wie Kartoffeln. Es wurde ein phänomenaler Erfolg."

Kein einziges Bachfest ließ die längst über Deutschlands Grenzen bekannte Pianistin Pflugbeil seitdem aus. Die Klavierauftritte der Bach-Veteranin gehörten zum festen und immer wieder gefeierten Bestandteil des Festivals, das ihr Mann einst aus der Taufe hob. Dabei wurde es beiden und den Organisatoren des bis heute einzigen, ohne Unterbrechungen stattgefundenen Bachfestivals nicht immer leicht gemacht. "Als wir uns in den sechziger Jahren gegen die Versuche der SED wehrten, das kirchliche Bachfest zu vereinnahmen, erhielten wir ab 1969 keinen Zugang mehr in die Aula und Theaterräume der Stadt", berichtet die Pianistin. Staatlichen Orchestern wurde die Teilnahme am Bachfest verboten. Heimlich abgeschlossene Einzelverträge mit sympathisierenden Musikern, einem Dresdner Privatorchester und dem schwedischen Amateurorchester "Capella Ludensis", aber auch tiefste Freundschaftshonorare sicherten den Erhalt der Greifswalder Bachwoche über diese komplizierte Zeit.

Mit einem musikalischen Ständchen am Strandkorb im Greifswalder Boddenbad Eldena gratulierten dieser Tage die Sänger des Greifswalder Kammerchores der Bachfestgründerin zum 78. Geburtstag. Am 6. Juni wird die Künstlerin traditionell mit einer leisen Clavichordmusik in der Greifswalder Johanniskirche das 50. Bachjubiläum eröffnen. Unter dem Motto "Bach pur" wollen diesmal alte Freunde und namhafte Musiker, wie Trompetenvirtuose Ludwig Güttler, Violonist Ulf Dänert von der Komischen Oper Berlin und Dresdens Klaviersolist Amadeus Webersinke den Meister ehren. Der Leiter der Bachwoche, Prof. Jochen Modeß, rechnet zu den 17 Konzerten mit mehr als 10.000 Gästen. Zeitgleich findet eine von Annelise Pflugbeil unterstützte Ausstellung statt. Die Exposition zeigt noch einmal alte Dokumente, Plakate und Fotos aus 50 Jahren Bachwoche.

som/gbt

070855 May 1996